Dat du min Leevsten büst, dat du woll weeßt.
Kumm bi de Nacht, kumm bi de Nacht, segg, wo du heeßt!
Kumm bi de Nacht, kumm bi de Nacht, segg, wo du heeßt!
Kumm du um Middernacht, kumm du Klock een!
Vader slöpt, Moder slöpt, ick slaap alleen.
Vader slöpt, Moder slöpt, ick slaap alleen.
Kinderlieder – Album 1
Wiebke Hoogklimmer – Altstimme
Klopp an de Kammerdör, fat an de Klink!
Vader meent, Moder meent, dat deit de Wind.
Vader meent, Moder meent, dat deit de Wind.
Kumm denn de Morgenstund, kreiht de ol Hahn.
Leevster min, Leevster min, denn mößt du gahn.
Leevster min, Leevster min, denn mößt du gahn.
(Die 4. Strophe steht nicht in jedem Liederbuch.)
Text: Klaus Groth (1819-1899) nach der Vorlage „Dat du myn Schätsken bist“ aus dem 19. Jahrhundert
Melodie: unbekannt
Ein ausführlicher Text zur Entstehungsgeschichte vom Forschungsprojekt des Deutschen Volksliedarchivs:
Tobias Widmaier: Dat du min Leevsten büst (2012). In: Populäre und traditionelle Lieder. Historisch-kritisches Liederlexikon.
http://www.liederlexikon.de/lieder/dat_du_min_leevsten_buest/
Das Liebeslied „Dat du min Leevsten büst“ beruht auf einem bereits in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts weithin bekannten erotischen Gassenhauer („Daß du mein Schätzgen bist“), dessen Melodie u. a. als Thema von Klaviervariationen diente. Der Text des Liedes wurde jedoch erst 1845 in einer plattdeutschen Fassung veröffentlicht, die sich in der Folge allgemein durchsetzte. In dieser Form ist das Lied von der Wandervogelbewegung aufgegriffen worden und bis in die Gegenwart populär geblieben.
I. Die verbreitete Ansicht, bei „Dat du min Leevsten büst“ handele es sich um ein Volkslied norddeutschen Ursprungs, ist nach Lage der Dinge falsch: Tatsächlich ist das Lied schon rund ein Jahrhundert vor der ersten Publikation einer plattdeutschen Textfassung belegt. Auf Grundlage der noch heute gesungenen Melodie schrieb Josef Anton Steffan (1726–1797) einen Variationensatz für Cembalo, der 1760 im Rahmen seiner dem späteren Kaiser Joseph II. gewidmeten Sonaten op. 2 in Wien erschien (Edition A). In einer Rezension hob der namhafte Berliner Musikschriftsteller Friedrich Wilhelm Marpurg dieses „Dutzend Abänderungen“ des „alte[n] Schlumper-Liedchen[s] daß du mein Schätzgen bist“ besonders hervor (Marpurg 1761). Auch der Schweriner „Hof- und Capell-Componist“ Johann Wilhelm Hertel (1727–1789) schrieb „Variaziones“ für Klavier über das Lied „Daß du mein Schätzgen bist“ (s. Autobiographie, ed. 1957), die jedoch unveröffentlicht blieben und als verschollen gelten müssen. Im frühen 19. Jahrhundert legte der Detmolder Kantor Anton Heinrich Pustkuchen (1761–1830) noch einen weiteren Variationenzyklus über das Lied vor (s. Anmerkung zu Edition A). Johann Gottfried Herder (1744–1803) widmete seiner Braut 1771 „den 23. Psalm in die vergnügte schöne Melodie des Liedgens ‚das du mein Schätzgen bist‘ gesetzt“ (Briefe 1977). An die Melodie von „Daß du mein Schätzgen bist“ lehnt sich schließlich auch die gängigste Vertonung des Freimaurerliedes „Laßt uns, ihr Brüder, Weisheit erhöh’n“ (1778) deutlich an (s. Friedlaender 1902).
II. Die Belege sprechen dafür, dass das Lied „Daß du mein Schätzgen bist“ in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts recht populär war. Es dürfte auch vor 1750 schon bekannt gewesen sein, worauf Marpurgs Formulierung „alte[s] Schlumper-Liedchen“ deutet (als „Schlumperlieder“ bezeichnete man damals „unkeusche“ und anzügliche Gassenhauer; s. Pierer 1835). Herkunft und Urheber des Liedes sind nicht mehr zu ermitteln. Bemerkenswert ist, dass aus der ersten Verbreitungsphase des Liedes vom Text einzig der Eingangsvers überliefert ist. Vermutlich sprachen moralische Vorbehalte gegen eine Aufnahme von „Daß du mein Schätzgen bist“ in Herders „Volkslieder“ (1778/79) und nachfolgende, primär einem bürgerlichen Publikum zugedachte Sammlungen (dass Herder die „vergnügte schöne“ Melodie mit einem neuen – in diesem Fall: geistlichen – Text versah, ist eine Maßnahme, die sich bei Liedern erotischer Tendenz durch die Jahrhunderte beobachten lässt). Tradierenswert wird der Text von „Daß du mein Schätzgen bist“ erst in der plattdeutschen Fassung, die 1845 in Karl Müllenhoffs Sammlung „Sagen, Märchen und Lieder der Herzogtümer Schleswig Holstein und Lauenburg“ erschien (Edition C).
III. Müllenhoff gab der plattdeutschen Fassung von „Daß du mein Schätzgen bist“ („Dat du myn Leevsten bist“) den Titel „Zum Stelldichein“ (Edition C). Thema des Liedes ist die Verabredung zu einem nächtlichen Tête-à-Tête. Das lyrische Ich des Liedes (ein junger Mann bzw. eine junge Frau) fordert die Liebespartnerin/den Liebespartner auf, sich zu ihm bzw. zu ihr ins Haus zu schleichen, wenn Vater und Mutter schon schlafen, und leise an der Kammertür zu klopfen („Vader meent, Moder meent / Dat deit de Wint“). Noch im Erscheinungsjahr von Müllenhoffs Sammlung teilte Theodor Storm seiner Braut den darin entdeckten dreistrophigen Liedtext brieflich mit und meinte, dass „das Hochdeutsche ‚Daß du mein Schätzchen bist‘ im Plattdeutschen das niedlichste heimlichste Liebeslied von der Welt ist“ (Storm 2002). In der Folgezeit wird die plattdeutsche zur rezeptionsgeschichtlich dominanten Liedfassung. Aus dem 1884 erschienenen „Niederdeutschen Liederbuch“ geht das Lied – das hier den Titel „Finstern“ (Fensterln) trägt und im Vergleich zur Version Müllenhoffs einige kleinere textliche Abweichungen aufweist (Edition D) – in das Ende des 19. Jahrhunderts vorgelegte Referenzwerk deutscher Volkslieder, den „Deutschen Liederhort“, ein (Erk/Böhme 1894). Überliefert sind aus dem 19. Jahrhundert auch Parodien des Liedes. So findet sich in den Aufzeichnungen des Liedforschers Ludwig Erk eine um 1839 in Westfalen notierte Fassung, in der das Begehren des lyrischen Ichs auf leibliche Genüsse anderer Art gerichtet ist: „Kumm hüte Nacht, kumm hüte Nacht, / Brink mi’n Stück Fleesk [Fleisch]“ (Edition B).
IV. Das Liebeslied „Dat du min Leevsten büst“ findet im frühen 20. Jahrhundert durch Liederbücher der Wandervogel- und Jugendbewegung Verbreitung. Die Aufnahme in den „Zupfgeigenhansl“ (ab 1. Aufl. 1909) dürfte zur Popularisierung des Liedes maßgeblich beigetragen haben (Edition E). Ein 1925 erschienenes Hamburger Jugendliederheft enthält eine um zwei auf fünf Strophen erweiterte Fassung von „Dat du min Leevsten büst“ (Edition F), als Autor der Zusatzstrophen (die vom Morgen „danach“ handeln) wird der holsteinische Schriftsteller Iven Kruse (1865–1926) genannt. Das Lied erfreut sich bis in die Gegenwart großer Beliebtheit und zählt längst zu den „Evergreens des Nordens“ (so der Titel einer 2005 erschienenen CD des Duos „Plattfööt“, auf dem auch „Dat du min Leevsten büst“ zu hören ist). Nicht unbedeutenden Anteil daran, dass „Dat du min Leevsten büst“ heute mit zu den bekanntesten traditionellen Liedern gehört, hat der Liedermacher Hannes Wader, der es seit Jahrzehnten immer wieder auf Konzerten vorträgt.
TOBIAS WIDMAIER
Quellenrecherche: JOHANNA ZIEMANN
(November 2012)
Editionen und Referenzwerke
- Friedlaender 1902, Bd. 2, S. 133f.
- Böhme, Kinderlied 1897, S. 127 (Nr. 583).
- Erk/Böhme 1894, Bd. 2, S. 630 (Nr. 824).
Weiterführende Literatur
- Storm-Briefwechsel. Kritische Ausgabe, Bd. 15: Theodor Storm – Constanze Erzmach Briefwechsel 1844–1846. Hrsg. von Regina Fasold. Berlin 2002, S. 201f.
- Johann Gottfried Herder: Briefe, Bd. 2: Mai 1771–April 1773. Bearbeitet von Wilhelm Dobbek † und Günter Arnold. Weimar 1977, S. 75.
- Johann Wilhelm Hertel: Autobiographie [1783/84]. Hrsg. und kommentiert von Erich Schenk. Graz, Köln 1957 (Wiener Musikwissenschaftliche Beiträge 3), S. 71.
- Universal-Lexikon oder vollständiges encyklopädisches Wörterbuch. Hrsg. von H. A. Pierer, Bd. 20. Altenburg 1835, S. 4.
- Friedrich Wilhelm Marpurg: Kritische Briefe über die Tonkunst, Bd. 2/2. Berlin 1762, S. 143 (Brief Nr. 83 vom 17.10.1761).
Quellenübersicht
- Ungedruckte Quellen: etliche Aufzeichnungen aus mündlicher Überlieferung
- Gedruckte Quellen: sehr häufig in Gebrauchsliederbüchern
- Bild-Quellen: —
- Tondokumente: sehr viele Tonträger
Berücksichtigt werden hier primär Quellen, die im Deutschen Volksliedarchiv (DVA) erschlossen sind. Hinsichtlich der Tonträger wurden auch die Bestände des Deutschen Musikarchivs (Leipzig) miteinbezogen.
© Deutsches Volksliedarchiv
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