Wir hassen die Sorgen und jagen sie gar!
Der Himmel verspricht uns ein fröhliches Jahr.
Der Januar von Norden die Erde zerspalt,
der Winter wird kräftig, das Wasser wird kalt.
Kinderlieder – Album 1
Wiebke Hoogklimmer – Altstimme
Der Februar, der bringt uns die Fastnacht heraus,
da halten wir alle einen fröhlichen Schmaus.
Im Märzen der Bauer die Ochsen anspannt,
er pflüget, er dünget, er ackert das Land.
April dann bekleidet die Erde mit Klee,
bald gibet er Regen, bald gibet er Schnee.
Der Mai alle Wiesen mit Blumen schön schmückt:
Der Hansel seinem Liebchen ein Sträußchen zuschickt.
Im Juni, da stehet die Sonn am höchsten Stand,
dann dürsten die Menschen, das Vieh und das Land.
Der Juli wird wärmer, durch Sonne erhitzt,
darinnen entstehet viel Donner und Blitz.
August nun läßt sammeln in Scheunen die Frucht.
Da werden die Pilze in den Büschen gesucht.
September durchjaget der Jäger den Wald,
die Rehe erhascht er, sein Horn laut erschallt.
Oktober muß geben dem Wein seine Kraft,
daraus man erkeltert den fröhlichen Saft.
November hat Gänse und Schweine gemäst‘,
dann essen und trinken wir alle aufs best.
Dezember macht Felder und Fluren schneeweiß.
Das Jahr ist zu Ende, Gott ewig sei Preis.
Text: anonym aus den deutschsprachigen Regionen der österreichisch-ungarischen Monarchie, Anfang des 19. Jahrhunderts
Melodie: Fritz Neumeyer 1947 – (1900–1983) nach einer Melodie aus Polen
Ein ausführlicher Text zur Entstehungsgeschichte vom Forschungsprojekt des Deutschen Volksliedarchivs:
Eckhard John: So hasset die Sorgen (2008). In: Populäre und traditionelle Lieder. Historisch-kritisches Liederlexikon.
http://www.liederlexikon.de/lieder/so_hasset_die_sorgen/
Das Kalenderlied „So hasset die Sorgen, verjaget sie gar“ beschreibt den Jahreslauf von Natur und Mensch im ländlichen Milieu und bietet zu jedem Monat eine eigene Strophe. Der Ursprung des Liedes ist nicht bekannt, seine Spuren lassen sich jedoch bis zum Beginn des 19. Jahrhunderts zurückverfolgen. Das Lied war hauptsächlich in deutschsprachigen Regionen der österreichisch-ungarischen Monarchie verbreitet. Zu einem erfolgreichen und eigenständigen Lied entwickelte sich daraus die März-Strophe: sie wurde im 20. Jahrhundert zu einem der bekanntesten volkstümlichen Frühlingslieder („Im Märzen der Bauer“).
I. Die frühesten Quellen zu „So hasset die Sorgen“ fand der Priester Remigius Sztachovis in handschriftlichen Liederbüchern der Heideboden-Region in Ungarn, deren ältestes aus dem Jahr 1808 stammt. Sztachovis dokumentierte das Hochzeitsbrauchtum jener Gegend und publizierte das Lied in diesem Kontext erstmals 1867: in einer Textfassung, die auf mehreren Liederhandschriften aus der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts beruht (Edition A). Die älteste musikalische Quelle zu „So hasset die Sorgen“ wird auf die Jahre um 1850 datiert und stammt aus Mähren (Edition B). Daneben war das Lied auch in Schlesien (Edition C), im österreichischen Burgenland (siehe Edition A) sowie im Raum Posen in Polen (Edition D) bekannt; zudem sind auch aus der Bukowina, aus Galizien, von der Krim und aus der Batschka Aufzeichnungen überliefert. Die Herkunft des Liedes ist unbekannt, auffällig sind jedoch einige Textparallelen zu dem im norddeutschen Raum überlieferten Flugblattlied „O weichet ihr Sorgen„, das ebenfalls den Jahreszeiten gewidmet ist. Möglicherweise lag hier eine Vorlage zur Umdichtung vor — aber welche Einflüsse (und in welche Richtung) dabei wirksam waren, bleibt spekulativ. Sicher ist jedoch, dass das in Ost- und Südosteuropa bekannte Kalenderlied nicht nur in handschriftlichen Aufzeichnungen festgehalten wurde, sondern ebenfalls mittels Flugschriften verbreitet worden ist (vgl. Edition C).
II. Der Jahreskreis mit seinen zwölf Monaten wird in diesem Lied als stetig wiederkehrende Beständigkeit des Lebens geschildert, wobei der naturabhängige Zyklus agrarischer Wirtschafts- und Lebensweise im Zentrum steht: der Winter mit Frost und Schlittenfahren, die Fasnacht, die Aussaat, der Frühling mit Blumen und Frühlingsgefühlen, der Sommer mit seiner Hitze und der Ernte auf den Feldern, der Ertrag an Früchten, Nüssen und Obst, die Weinlese im Herbst und die anschließende Zeit des Schlachtens und Jagens, sowie schließlich Weihnachten als Fest der Liebe — wobei weniger an die Heilige Familie, als an die Reproduktion der eigenen gedacht wird: „Aus Zweien wird vermehret die Zahl in drei, weil beide vor Kälte zusammengerückt und einer den andern von Herzen erquickt“ (Edition C). Hier wird klar, weshalb das Lied — etwa in Ungarn und Südmähren — gerne bei Hochzeiten gesungen worden sein soll. Entsprechend heißt es in der Kurzcharakteristik aller zwölf Monate, die das Lied abschließt: „der zehnte bringt Wein […], der zwölfte macht Lust“. Die Hinweise auf Bezugsrahmen und Funktion des Kalenderliedes sind allerdings sehr spärlich. Neben den Hochzeiten wird gelegentlich auch die Neujahrszeit (Mähren und Polen) oder ein Christkindlspiel (Ofner Bergland in Ungarn) als Kontext erwähnt.
III. Ebenso uneinheitlich sind die Melodien, die dem Text in den verschiedenen Regionen zugeordnet waren: Für das 19. Jahrhundert ist aus Mähren (Edition B) und Schlesien (Edition C) jene Melodie überliefert, die im 20. Jahrhundert überregional sehr bekannt werden sollte — allerdings nicht mit dem vorliegenden Zwölf-Monats-Lied, sondern mit dem Text des aus dessen vierter Strophe hervorgegangenen Frühlingsliedes „Im Märzen der Bauer“. Ein zweiter Melodietyp zu „So hasset die Sorgen“ stammt aus Polen (Edition D). Er dominierte wiederum nach 1945 die musikalische Rezeption des Kalenderliedes. Weitere Melodien sind noch aus anderen Regionen, aus Südmähren, dem Ofner Bergland (Ungarn) und aus dem Burgenland (Österreich) überliefert (Edition E). Auch der Textbeginn des Liedes variiert häufig: Neben dem im 19. Jahrhundert dominierenden Incipit „So hasset die Sorgen“ finden sich auch Liedanfänge mit „Ach“, „Nun“, „Und“, „Drum lasset …“ oder ähnlichem, nach 1945 rückt dann die Version „Nun hasset“ in den Vordergrund.
IV. In den ersten Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts wird „So hasset die Sorgen“ in der volkskundlichen Literatur als Kalenderlied dokumentiert. Erst nach 1945 erscheint es gelegentlich in allgemeinen Gebrauchsliederbüchern. Entscheidend dafür war zum einen die Bearbeitung als „Jahreslied. Für vierstimmigen gemischten Chor“ (Kassel 1947) von Fritz Neumeyer (1900–1983), der als Professor für Cembalo an der Freiburger Musikhochschule lehrte. Zum anderen brachte die Veröffentlichung in den verbreiteten Liedblättern „Das singende Jahr“ dem Kalenderlied 1955 weitere Bekanntheit, zumal der Herausgeber Gottfried Wolters (1910–1989) das Lied nicht nur in der Januar-Ausgabe (Nr. 49) komplett abdruckte, sondern es das ganze Jahr 1955 über mit der jeweiligen Monatsstrophe auf der Titelseite seiner Liedblätter platzierte. Sowohl Neumeyer wie Wolters griffen auf die aus Polen stammende Liedversion (Edition D) zurück, so dass sich diese — insbesondere hinsichtlich der Melodie — in den Liederbüchern nach 1945 durchsetzte. Sie wurde ebenfalls in die von Lutz Röhrich und Rolf Wilhelm Brednich herausgegebene Edition „Deutsche Volkslieder. Texte und Melodien“ (Düsseldorf 1967) übernommen. Das Lied fand nun vorwiegend im Kreis der Vertriebenen sowie im norddeutschen Raum (dem Wirkungsfeld des seinerzeit einflussreichen Chorleiters Gottfried Wolters) Verbreitung, gelegentlich wurde der Liedtext hierbei auf Strophen mit lediglich zwei Versen verkürzt (Edition F). Eine Umdichtung, die den Inhalt des Liedes etwas zeitgemäßer formulieren wollte, veröffentlichte Hannes Schwensen im „Liederbuch für Schleswig-Holstein“ (Wolfenbüttel 1970).
ECKHARD JOHN
(Juli 2008)
Quellenübersicht
- Ungedruckte Quellen: vergleichsweise wenige Aufzeichnungen aus mündlicher Überlieferung
- Gedruckte Quellen: vereinzelt auf Flugschriften, selten in Gebrauchsliederbüchern
- Bild-Quellen: —
- Tondokumente: singulär (1 Aufzeichnung); sehr selten auf Tonträger
Ausführliche Quellendokumentation
Berücksichtigt werden hier primär Quellen, die im Deutschen Volksliedarchiv (DVA) erschlossen sind. Hinsichtlich der Tonträger wurden auch die Bestände des Deutschen Musikarchivs (Berlin) miteinbezogen.
© Deutsches Volksliedarchiv
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