Auf, du junger Wandersmann,
Jetzo kommt die Zeit heran,
Die Wanderszeit, die gibt uns Freud.
Woll´n uns auf die Fahrt begeben,
Das ist unser schönstes Leben,
Große Wasser, Berg und Tal
Anzuschauen überall.
An dem schönen Donaufluß
Findet man ja seine Lust
Und seine Freud auf grüner Heid,
Wo die Vöglein lieblich singen
Und die Hirschlein fröhlich springen,
Dann kommt man vor eine Stadt,
Wo man gute Arbeit hat.
Kinderlieder – Album 1
Wiebke Hoogklimmer – Altstimme
Mancher hinterm Ofen sitzt
Und gar fein die Ohren spitzt,
Kein Stund vors Haus ist kommen aus;
Den soll man als G’sell erkennen,
Oder gar ein Meister nennen,
Der noch nirgends ist gewest,
Nur gesessen in sei’m Nest.
Mancher hat auf seiner Reis
Ausgestanden Müh und Schweiß
Und Not und Pein, das muß so sein;
Trägt’s Felleisen auf dem Rücken,
Trägt es über tausend Brücken,
Bis er kommt nach Innsbruck ein,
Wo man trinkt Tirolerwein!
Morgens, wenn der Tag angeht
Und die Sonn am Himmel steht
So herrlich rot wie Milch und Blut;
Auf, ihr Brüder, laßt uns reisen,
Unserm Herrgott Dank erweisen
Für die fröhlich Wanderzeit,
Hier und in die Ewigkeit!
Text und Melodie: Franken 19. Jahrhundert, 1855 aufgezeichnet von Franz Wilhelm von Ditfurth (1801-1880) in „Fränkische Volkslieder“
1923 wieder veröffentlicht von Walther Hensel (1887–1956)
Eine kleine Bemerkung zum Urheberrecht dieses Liedes (nachzulesen unter www.liederlexikon.de):
In der Ausgabe des ersten Gesamtjahrgangs der „Finkensteiner Blätter“ wurden die zwölf je achtseitigen einzelnen Liedhefte zusammengefaßt, die 1923/24 „in monatlicher Folge“ erschienen waren. „Auf, du junger Wandersmann“ erschien als erstes Lied im ersten Einzelheft des Jahrgangs. Der Herausgeber Walther Hensel wurde – so Karl Vötterle, der Verleger der „Finkensteiner Blätter“ im Rückblick – „nie müde, dieses Lied mit uns zu singen. Und so wie er mit uns sang, hat er uns eingefügt in den Strom der Überlieferung“ (Haus unterm Stern. Über Entstehen, Zerstörung und Wiederaufbau des Bärenreiter-Werkes, 3. [erweiterte] Auflage. Kassel u. a. 1963, S. 110). Dass Hensel das Lied aus Ditfurths 1855 erschienenen „Fränkischen Volksliedern“ übernommen hat, ist in den „Finkensteiner Blättern“ (und in späteren Bärenreiter-Publikationen) nicht vermerkt, stattdessen wurde die neue, von der Vorlage jedoch keineswegs grundlegend abweichende Textfassung zu dessen „geistigem Eigentum“ erklärt und im Fall von Urheberechtsverletzungen mit „gerichtlicher Verfolgung“ gedroht (Finkensteiner Blätter 1923/24, S. 8).
Ein ausführlicher Text zur Entstehungsgeschichte vom Forschungsprojekt des Deutschen Volksliedarchivs:
Tobias Widmaier: Auf, du junger Wandersmann (2011). In: Populäre und traditionelle Lieder. Historisch-kritisches Liederlexikon. http://www.liederlexikon.de/lieder/auf_du_junger_wandersmann/
Das im 20. Jahrhundert verbreitete Lied „Auf du junger Wandersmann“ basiert auf einem Handwerkerlied des 19. Jahrhunderts. Autor und Entstehungszeit dieses bis um 1900 ausschließlich mündlich tradierten Liedes mit dem Textanfang „Auf, ihr Brüder, seid wohl daran“ sind nicht bekannt. 1923 hat Walter Hensel das Lied für den Gebrauch in der Jugendbewegung wieder aufgegriffen. Seine Neufassung wurde zu einem der populärsten Wanderlieder des 20. Jahrhunderts.
I. Das seit den 1930er Jahren populäre Wanderlied „Auf, du junger Wandersmann“ ist die Überarbeitung eines schon im 19. Jahrhundert verbreiteten Handwerksburschenliedes unbekannter Urheberschaft und Herkunft. Letzteres wurde zwischen Mitte und Ende des 19. Jahrhunderts in verschiedenen Regionen Deutschlands aus mündlicher Überlieferung aufgezeichnet und z.T. in Volksliedsammlungen ediert. Dabei weisen die Belege, die Liedforscher 1844 in Brandenburg (Edition A), um die gleiche Zeit in Franken (Edition B), im Rheinland, im Elsass, in Hessen und in Böhmen gesammelt haben (vgl. Anmerkung zu Edition A), neben Varianten beim Liedbeginn („Auf / Frisch auf, ihr Brüder / ihr Gesellen, seid / seids wohl daran / denkt daran / seid wohlgemuth“) eine Reihe weiterer textlicher Unterschiede auf, wie sie für oral tradierte Lieder typisch sind. Unterschiedlich sind auch die Melodien, nach denen das Lied seinerzeit gesungen wurde. Ob die Gewährspersonen selbst aus dem Handwerkermilieu stammten, ist im Übrigen ungewiss.
II. Thema des Liedes „Auf, ihr Brüder, seid / seyd wohl daran“ (vgl. Incipit Edition A bzw. Edition B) ist die „Wanderzeit“ der Handwerksgesellen, die bis ins 19. Jahrhundert hinein fester Bestandteil einer entsprechenden beruflichen Laufbahn war. Mit dem Bedeutungsverlust, den das zünftige Handwerkerwesen durch die Industrialisierung erfuhr, gingen die Gesellenwanderungen zurück, wurden zugleich aber zunehmend verklärt, was auch im vorliegenden Lied anklingt. Besungen werden hier primär die Freuden der Wanderjahre, an erster Stelle die Landschafts- und Naturerlebnisse während der Fußreisen hin zu den Orten, wo sich möglicherweise Arbeit bietet. Die Verlockungen sind aber auch anderer Natur: „Dann kommt man in eine Stadt, / wo man hübsche Mädchen hat“ (Edition A, Str. 2), oder: „Drauf kommt er nach Hamburg ‚rein, / trinkt ein Glas Champagner-Wein“ (Str. 3). Zugleich wird nicht verschwiegen, dass mancher Geselle auf seiner „Reis‘ / ausgestanden Angst und Schweiß / in Noth und Pein“, aber „das muß so seyn“ (Edition B, Str. 4). Das Lied mokiert sich zudem über die Söhne der Handwerksmeister, die das Privileg genossen, nicht auf Wanderschaft gehen zu müssen und „hinterm Ofen“ sitzen blieben. In zwei weiteren Strophen – die Franz Wilhelm von Ditfurth in seiner Sammlung „Fränkische Volkslieder“ (1855) mitteilt – ist einerseits von den Zusammenkünften mit anderen Gesellen an freien Sonntagen die Rede, bei denen die Gespräche um die „fremden Länder“ kreisen, „die man gesehen, / daß ein möcht‘ das Herz zergehen“ (Edition B, Str. 5). Schließlich werden die „herrlich roth[en]“ Sonnenaufgänge als besondere Momente der Wanderschaft hervorgehoben, und das Lied nimmt eine Wendung hin ins Religiöse: „Auf, ihr Brüder, laßt uns reisen / und den Herrn mit Danke preisen, / hier in dieser Wanderzeit / bis in unsre Ewigkeit“ (Str. 6).
III. Das Handwerksgesellenlied „Auf, ihr Brüder, seid wohl daran“ hat im 19. Jahrhundert keine Aufnahme in Gebrauchsliederbüchern gefunden, um 1900 scheint es aus der mündlichen Singpraxis verschwunden zu sein. Wiederentdeckt wurde es durch den Deutschböhmen Walther Hensel (1887–1956), einen namhaften Vertreter der Wandervogelbewegung und 1923 Gründer der „Finkensteiner Singwoche“ sowie des „Finkensteiner Bundes“, der das Lied Ditfurths „Fränkischen Volksliedern“ entnahm (Edition B) und textlich und melodisch überarbeitete („Auf, du junger Wandersmann“). Zuerst veröffentlicht wurde seine Neufassung des Liedes als Eingangsnummer des ersten, 1923 erschienenen Heftes der „Finkensteiner Blätter“ (Edition C), zugleich das erste Verlagswerk des Bärenreiter-Verlages. Dessen Gründer, Karl Vötterle (1903–1975), seinerzeit ebenfalls Mitglied des Wandervogel, berichtete rückblickend, dass Hensel „nie müde [wurde], das Lied [„Auf, du junger Wandersmann“] mit uns zu singen. Und so wie er mit uns sang, hat er uns eingefügt in den Strom der Überlieferung.“ Die „Finkensteiner Blätter“ (und nachfolgende Bärenreiter-Publikationen) legten freilich Hensels Vorlage nicht offen. In Vötterles Geschichte des eigenen Verlagshauses („Haus unterm Stern“, 1963) heißt es bezüglich „Auf, du junger Wandersmann“, das Lied stamme „aus einer bekannten Quelle [sic], wurde aber von niemandem gesungen, weil es dort schlecht aufnotiert und in der Textfassung nicht günstig war. Erst Walther Hensel hat das Lied wieder zu neuem Leben erweckt.“ Die Bearbeiterleistung wurde durch die Bekrittelung der Liedvorlage nachdrücklich aufgewertet. Die „Finkensteiner Blätter“ bezeichneten „Auf, du junger Wandersmann“ dementsprechend als „geistiges Eigentum“ Hensels, in Liederbüchern wird er seither häufig als Urheber genannt (Edition D).
IV. Um 1920 wurde das Handwerkerlied „Auf, ihr Brüder, seid wohl daran“ aus einem einfachen Grund nicht mehr gesungen: Es hatte seine Realitätsbezüge verloren. Hensel aber machte es – mit wenigen Eingriffen – zu einem der populärsten Lieder der Wandervogelbewegung, für die der Wandergeselle der guten, alten Zeit, der mit seinem „Felleisen auf dem Rucken“ (Edition B u. Edition C, Str. 4) die Welt durchzog, eine fast mythisch überhöhte Bezugsfigur darstellte. Auch der religiöse Ausklang der Vorlage entsprach einem in bestimmten Kreisen des Wandervogel verbreiteten Liedideal, wobei Hensel die Aussage etwas modifizierte („Auf ihr Brüder, laßt uns reisen, / unserm Herrgott Dank erweisen / für die fröhlich Wanderzeit / hier und in die Ewigkeit“). Ab den späten 1920er Jahren wurde „Auf, du junger Wandersmann“ breit rezipiert und hat bis in die Gegenwart als Wanderlied in zahlreichen Liederbüchern Aufnahme gefunden (z. B. Edition D). Auch für Schallplatte wurde „Auf, du junger Wandersmann“ vielfach eingesungen. Ebenso spiegeln Parodien (Edition E) oder Werbeanzeigen (Abb. 1) die enorme Bekanntheit des Liedes.
TOBIAS WIDMAIER
Quellenrecherche: JOHANNA ZIEMANN
(August 2011)
Editionen und Referenzwerke
- Erk/Böhme 1894, Bd. 3, S. 426f. (Nr. 1604).
Weiterführende Literatur
- Karl Vötterle: Haus unterm Stern. Über Entstehen, Zerstörung und Wiederaufbau des Bärenreiter-Werkes, 3. [erweiterte] Auflage. Kassel u. a. 1963 (Zitate S. 105 u. S. 110).
Quellenübersicht
- Ungedruckte Quellen: kaum Aufzeichnungen aus mündlicher Überlieferung
- Gedruckte Quellen: überaus häufig in Gebrauchsliederbüchern (ab 1930)
- Bild-Quellen: —
- Tondokumente: viele Tonträger
Berücksichtigt werden hier primär Quellen, die im Deutschen Volksliedarchiv (DVA) erschlossen sind. Hinsichtlich der Tonträger wurden auch die Bestände des Deutschen Musikarchivs (Berlin) miteinbezogen.
© Deutsches Volksliedarchiv
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