Der Winter ist vergangen,
ich seh des Maien Schein,
ich seh die Blümlein prangen,
des ist mein Herz erfreut.
So fern in jenem Tale,
da ist gar lustig sein,
da singt die Nachtigale
und manch Waldvögelein.
Kinderlieder – Album 1
Wiebke Hoogklimmer – Altstimme
Ich geh, ein Mai zu hauen,
hin durch das grüne Gras,
schenk meinem Buhl die Treue,
die mir die Liebste was.
Und bitt, daß sie mag kommen,
all vor dem Fenster stahn,
empfangen den Mai mit Blumen,
er ist gar wohl getan.
Er nahm sie sonder Trauern
in seine Arme blank,
der Wächter auf der Mauern
hub an ein Lied und sang:
„Ist jemand noch darinnen,
der mag bald heimwärts gahn.
Ich seh den Tag herdringen
Schon durch die Wolken klar.“
„Ach Wächter auf der Mauern,
wie quälst du mich so hart!
Ich lieg in schweren Trauern,
mein Herze leidet Schmerz.
Das macht die Allerliebste,
von der ich scheiden muß;
das klag ich Gott dem Herren,
daß ich sie lassen muß.
Ade, mein Allerliebste,
ade, schöns Blümlein fein,
ade, schön Rosenblume,
es muß geschieden sein!
Bis daß ich wieder komme,
bleibst du die Liebste mein;
das Herz in meinem Leibe
gehört ja allzeit dein.“
Text: Franz Magnus Böhme 1877 – (1827-1898), deutsche Übertragung des niederländischen Liebesliedes „Die winter is verganghen“ (1537)
Melodie: anonym aus dem „Thysius luitboek“, um 1600
Ein ausführlicher Text zur Entstehungsgeschichte vom Forschungsprojekt des Deutschen Volksliedarchivs:
Frauke Schmitz-Gropengiesser, Eckhard John: Der Winter ist vergangen (2009). In: Populäre und traditionelle Lieder. Historisch-kritisches Liederlexikon.
https://www.liederlexikon.de/lieder/der_winter_ist_vergangen/
Das Lied „Der Winter ist vergangen“ ist eine Schöpfung des „Volkslied“-Forschers Franz Magnus Böhme, der dafür Ende des 19. Jahrhunderts den Text eines niederländisches Liebesliedes aus dem 16. Jahrhundert ins Deutsche übertrug und mit einer historischen Melodie kombinierte. Durch die Wandervogel- und Jugendmusikbewegung wurde „Der Winter ist vergangen“ aufgegriffen und erreichte als vermeintlich altes deutsches „Volkslied“ im 20. Jahrhundert eine enorme Verbreitung. Heute wird es vor allem als Frühlingslied verstanden und erfreut sich großer Beliebtheit.
I. Der Text des mittelniederländischen Liedes „Die winter is verganghen“ findet sich erstmals in einer Liederhandschrift aus dem Jahr 1537, die in Zutphen (Gelderland) angelegt wurde (Edition A). Der Verfasser der Verse ist nicht bekannt. Aber das Lied ist auch noch in weiteren Quellen aus jener Zeit enthalten, wie der „Darfelder Liederhandschrift“ (1546–1565) und einer Hanauer Handschrift, die ebenfalls aus dem 16. Jahrhundert stammt. Zudem weisen die ersten beiden Strophen des Liedtextes große inhaltliche und textliche Übereinstimmungen zum Lied „Het viel een hemels douwe“ (Str. 2 und 3) im Antwerpener Liederbuch von 1544 auf: Beide beginnen jeweils als Frühlingslied und gehen in ein Liebes- und Tagelied über. In „Die winter is verganghen“ wird eingangs geschildert, wie mit dem Ende des Winters die Natur wieder erwacht. Die folgenden Strophen handeln von zwei Liebenden, die sich am Abend treffen und sich beim Ruf des Wächters zu Tagesanbruch in einem schmerzvollen Abschied wieder trennen müssen.
II. In der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts entstand eine umgedichtete Version des Liebesliedes, die stets mit dem leicht variierten Incipit „Die winter is ons verghanghen“ und dem Hinweis erschien, dass es sich hierbei um ein neues Lied handle. Tatsächlich wurden die beiden letzten Strophen (Klage an den Wächter, Abschied) nicht übernommen und der Charakter des Liebesliedes durch zwei neue Strophen und verschiedene Wortveränderungen unterstrichen. Wo beispielsweise bei der Zutphener Handschrift ein „ehrbarer“ Kuss auf die Wange gegeben wird, küsst der Liebhaber seine Geliebte in dieser späteren Fassung auf den „roten“ Mund. Diese Liedfassung findet sich in Liedhandschriften (Darmstadt 1584, Brüssel Ende 16. Jh.) ebenso wie auf Einblattdrucken und in dem 1589 in Amsterdam erschienenen Liederbuch „Een Aemstelredams Amoureus Lietboec“ (Edition B). Auch eine musikalische Quelle mit der Überschrift „De winter is ons verganghen“ ist aus dieser Zeit überliefert: Sie stammt aus dem Lautenbuch von Adriaen Jorisz Smout (sogen. „Thysius luitboek“, um 1600), enthält aber keinerlei Liedtext (siehe Edition D). Der Komponist ist nicht bekannt. Ebenso wenig wissen wir, ob unser Liedtext damals tatsächlich mit dieser Melodie verbreitet war.
III. Im 17. Jahrhundert scheint das Lied zu verschwinden, zumindest gibt es keine Hinweise darauf, dass es noch eine nennenswerte Rolle gespielt haben könnte. Erst rund 250 Jahre später erscheint „Die winter is verganghen“ wieder im Zuge des im 19. Jahrhundert neuen Interesses am „Volkslied“ und an alten Liedern (Hoffmann von Fallersleben 1856, Edition C). Franz Magnus Böhme übersetzte diesen Text zunächst in seinen „Altdeutschen Liedern“ (1877) ins Deutsche und wies dieser Übersetzung dann im „Deutschen Liederhort“ (Erk/Böhme 1894) die vermutete Melodie aus dem Lautenbuch von Thysius zu (Edition E). Diese Liedkonstruktion wurde Ausgangspunkt und Grundlage der deutschen Liedrezeption im 20. Jahrhundert. In den Niederlanden fand zunächst eine andere Melodie bei der Wiederbelebung des alten Liebesliedes Verwendung (van Duyse 1903), später wurde dort jedoch ebenfalls die Thysius-Weise adaptiert.
IV. Über die Wandervogel- und Jugendbewegung wird Böhmes Liedfassung popularisiert und in zahlreiche Liederbücher aufgenommen (Edition F). Von da an erfährt „Der Winter ist vergangen“ eine sehr große Verbreitung, im Allgemeinen unter der Verwendung der 1., 2. und 6. Strophe aus dem „Deutschen Liederhort“, und wird zu einem der beliebtesten deutschen „Volkslieder“ des 20. Jahrhunderts. Im Dritten Reich wollte man den niederländischen Ursprung von „Der Winter ist vergangen“ nicht wahrhaben und war bestrebt, diesem Lied eine deutsche Abkunft zu bescheinigen (Gerhard Saupe 1939). Im Rahmen der Protestbewegungen gegen Atomkraft und Raketenstationierung in den achtziger Jahren des 20. Jahrhunderts wurde „Der Winter ist vergangen“ wiederum als Vorlage für einen Protestsong verwendet. Dem Idyll der schönen, friedlichen Natur im Frühling werden hier Umweltzerstörung und Krieg in eindrücklicher Weise gegenübergestellt (Edition G).
FRAUKE SCHMITZ-GROPENGIESSER
ECKHARD JOHN
(Mai 2009)
Literatur
- Gerhard Saupe: Der „Winter ist vergangen“. In: Deutsche Musikkultur 4 (1939/1940), S. 200–205.
Editionen und Referenzwerke
- Nederlandse Liederenbank (Stand: September 2010)
- Repertorium Nederlandse lied 2001, Bd. 1, S. 133 (T 1204).
- Leloux 1985, S. 76–79 (Nr. 10).
- Brednich, Darfelder Lhs. 1976, S. 72f. (Nr. 17) und S. 205–207.
- Van Duyse 1903, Bd. 1, S. 341–343 (Nr. 73); Bd. 3, S. 1642 (Nr. VII).
- Erk/Böhme Bd. 2, 1894, S. 204f. (Nr. 393b).
- Kalff 1884, S. 287–290.
- Böhme, Altdeutsches Liederbuch 1877, S. 212–214 (Nr. 114).
- Hoffmann von Fallersleben 1856, S. 151f. (Nr. 63).
Quellenübersicht
- Ungedruckte Quellen: kaum Aufzeichnungen aus mündlicher Überlieferung
- Gedruckte Quellen: überaus häufig in Gebrauchsliederbüchern (ab dem frühen 20. Jahrhundert)
- Bild-Quellen: —
- Tondokumente: viele Tonträger
Berücksichtigt werden hier primär Quellen, die im Deutschen Volksliedarchiv (DVA) erschlossen sind. Hinsichtlich der Tonträger wurden auch die Bestände des Deutschen Musikarchivs (Berlin) miteinbezogen.
© Deutsches Volksliedarchiv
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