Die Blümelein, sie schlafen
Schon längst im Mondenschein,
Sie nicken mit den Köpfchen
Auf ihren Stengelein.
Es rüttelt sich der Blütenbaum,
Er säuselt wie im Traum:
Schlafe, schlafe,
Schlaf du, mein Kindelein!
Kinderlieder – Album 1
Wiebke Hoogklimmer – Altstimme
Die Vögelein, sie sangen
So süß im Sonnenschein,
Sie sind zur Ruh gegangen
In ihre Nestchen klein.
Das Heimchen in dem Aehrengrund,
Es tut allein sich kund:
Schlafe, schlafe,
Schlaf du, mein Kindelein!
Sandmännchen kommt geschlichen
Und guckt durch’s Fensterlein,
Ob irgend noch ein Liebchen
Nicht mag zu Bette sein.
Und wo er nur ein Kindchen fand,
Streut er ihm in die Augen Sand.
Schlafe, schlafe,
Schlaf du, mein Kindelein!
Text: Anton Wilhelm von Zuccalmaglio 1840 – (1803–1869)
Melodie: die Melodie entnahm Zuccalmaglio leicht verändert dem Weihnachtslied „Zu Bethlehem geboren„
Ein ausführlicher Text zur Entstehungsgeschichte vom Forschungsprojekt des Deutschen Volksliedarchivs:
Tobias Widmaier: Die Blümelein sie schlafen (2008). In: Populäre und traditionelle Lieder. Historisch-kritisches Liederlexikon.
http://www.liederlexikon.de/lieder/die_bluemelein_sie_schlafen/
Das Wiegenlied „Die Blümelein sie schlafen“ ist eines der frühesten Lieder, in denen die Figur des Sandmanns besungen wird. Es zählt zu jenen fiktiven „Volksliedern“, die von Anton Wilhelm von Zuccalmaglio geschaffen worden sind. Seit seiner Veröffentlichung 1840 ist es rasch zu einem der bekanntesten deutschen Schlaflieder für Kinder geworden.
I. Unter dem Titel „Sandmännchen“ hat Anton Wilhelm von Zuccalmaglio (1803–1869) das Lied in seiner (gemeinsam mit August Kretzschmer herausgegebenen) Sammlung „Deutsche Volkslieder mit ihren Originalweisen“ 1840 erstmals veröffentlicht (Edition A). Dabei verschleierte Zuccalmaglio seine Urheberschaft durch die Herkunftsangabe „Vom Niederrhein“ und suggerierte damit, es handle sich um ein verbreitetes „Volkslied“ (ebenso verfuhr er bei anderen Liedern, z. B. „Kein schöner Land in dieser Zeit„). In einer zeitgenössischen Kritik erregte sich der Volksliedforscher Ludwig Erk über derlei „Geflunker“ und meinte spitz, dass „Hr. v. Z. unter dem schönen Namen Volk in der Regel nur sich selbst“ verstehe. Seine „gemacht[en]“ Volkslieder kenne außer ihm „nicht Ein Menschenkind“ (Erk 1848). Das jedoch sollte sich in der Folge ändern: So erlangte das Lied „Die Blümelein sie schlafen“ große und bis heute anhaltende Popularität.
II. Zuccalmaglios an ein Kind gerichtetes Schlaflied erzählt, dass sich auch Blumen und Vögel bereits „zur Ruh“ begeben hätten. Zu Kindern aber, die nicht „zu Bette seyn“ wollten, komme das Sandmännchen, um ihnen Sand in die Augen zu streuen. Das latent Bedrohliche dieser märchenhaften Figur überdeckt das Lied mit dem Stilmittel durchgehender Verkleinerungen und Verniedlichungen. Die Melodie übernahm Zuccalmaglio von dem geistlichen Lied „Zu Bethlehem geboren„, wobei er sie in einigen Passagen geringfügig änderte (vgl. Walter Wiora 1953).
III. Die im romantischen Geist geschriebenen „Volkslieder“ Zuccalmaglios fanden in Johannes Brahms einen großen Bewunderer. Er bearbeitete eine ganze Reihe von ihnen, darunter auch „Die Blümelein sie schlafen“. Als Klavierlied eingerichtet erschien es 1858 in seinen „Vierzehn Volks-Kinderliedern“ (WoO 31), die er den Kindern Clara und Robert Schumanns widmete. Wenig später hat auch Friedrich Wilhelm Arnold (1810–1864) – in dessen Elberfelder Musikverlag einige Spätwerke Schumanns erschienen – Zuccalmaglios „Sandmännchen“ mit Klavierbegleitung im ersten Heft seiner „Deutschen Volks-Lieder aus Alter und neuer Zeit“ herausgegeben (Edition B). Bemerkenswert ist, dass Arnold dabei anmerkte, es handele sich um ein traditionelles Lied, das in der Region (Wupper- und Dhünntal) zu Beginn des 19. Jahrhunderts „noch gesungen“ worden sei.
IV. „Die Blümelein sie schlafen“ fand in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts nicht nur als bürgerliche Hausmusik (Brahms, Arnold), sondern auch in anderen Bereichen Verbreitung. 1895 stellte Franz Magnus Böhme fest, dass dieses „vollendet schöne Liedchen […] durch Schulliederhefte weit verbreitet“, ja „selbst in Männergesangvereinen (!) beliebt“ sei. Letzteres allerdings missfiel ihm: den Vortrag von Wiegenliedern im Konzertsaal bezeichnete er als „Unsinn“ und „Geschmacklosigkeit“. Dennoch hielt sich „Die Blümelein sie schlafen“ im frühen 20. Jahrhundert noch lange als Chorlied. Zudem wurde es in eine Reihe von Liederbüchern der Jugendbewegung aufgenommen, etwa in die vielfach aufgelegte Sammlung „Deutsches Lautenlied“ von Walther Werckmeister (Edition C). Aus dem Jahr 1929 stammt eine Aufzeichnung aus mündlicher Überlieferung als Spiellied von Kindern (Edition D). In Gebrauchs-, Kinder- und Wiegenliederbüchern ist Zuccalmaglios „Die Blümelein sie schlafen“ bis in die jüngste Zeit recht häufig vertreten. Dabei ist die Figur des Sandmännchens ein beliebtes Motiv für Illustrationen (Abb. 1 ). Ein japanisches Liederbuch von 1994 dokumentiert eine Rezeption des Liedes auch außerhalb des deutschen Sprachgebiets.
TOBIAS WIDMAIER
Quellenrecherche: JOHANNA ZIEMANN
(Juni 2008)
Literatur
- Walter Wiora: Die rheinisch-bergischen Melodien bei Zuccalmaglio und Brahms. Alte Liedweisen in romantischer Färbung. Bad Godesberg 1953 (Quellen und Studien zur Volkskunde 1), S. 105, 139f. u. 187 (Melodiensynopse).
- Gottlieb Brandsch: Beiträge zur Volksliedforschung. Teil 2: Die Quelle zu Joh. Brahms‘ „Sandmännchen“. In: Siebenbürgische Vierteljahresschrift 55 (1932), Nr. 1, S. 38–41.
- Böhme, Volksthüml. Lieder 1895, S. 467 (Nr. 624); die gegen Wiegenlieder im Konzertsaal gerichteten Zitate im Kommentar zu Nr. 623 (S. 467).
Weiterführende Literatur
- [Ludwig Erk]: Rezension von „Deutsche Liederhalle. Sammlung der ausgezeichnetsten Volkslieder, hrsg. von W. v. Zuccalmaglio“ und „Deutsche Volkslieder mit ihren Original-Weisen“. In: Caecilia 27 (1848), S. 208–221, Zitate S. 208 u. 215.
- Dietz-Rüdiger Moser: Artikel „Sandmann“. In: Enzyklopädie des Märchens, Bd. 11. Berlin, New York 2004, Sp. 1111–1114.
Quellenübersicht
- Ungedruckte Quellen: kaum Aufzeichnungen aus mündlicher Überlieferung
- Gedruckte Quellen: sehr häufig in Gebrauchsliederbüchern
- Bild-Quellen: gelegentlich auf Liedpostkarten; zahlreiche Illustrationen in Kinderliederbüchern
- Tondokumente: häufig auf Tonträger
Berücksichtigt werden hier primär Quellen, die im Deutschen Volksliedarchiv (DVA) erschlossen sind. Hinsichtlich der Tonträger wurden auch die Bestände des Deutschen Musikarchivs (Berlin) miteinbezogen.
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