Im Krug zum grünen Kranze,
Da kehrt ich durstig ein;
Da saß ein Wandrer drinnen,
Am Tisch beim kühlen Wein.
Ein Glas ward eingegossen,
Das wurde nimmer leer;
Sein Haupt ruht auf dem Bündel,
Als wär’s ihm viel zu schwer.
Kinderlieder – Album 1
Wiebke Hoogklimmer – Altstimme
Ich tät mich zu ihm setzen,
Ich sah ihm ins Gesicht,
Das schien mir gar befreundet
Und dennoch kannt‘ ich’s nicht.
Da sah auch mir ins Auge
Der fremde Wandersmann
Und füllte meinen Becher
Und sah mich wieder an.
Hei! wie die Becher klangen,
Wie brannte Hand in Hand,
„Es lebe die Liebste deine,
Herzbruder, im Vaterland!“
Text: Wilhelm Müller 1821 – (1794-1827)
Melodie: vor 1818 zu der Ballade „Ich stand auf hohem Berge“, 1843 mit dem Lied „Im Krug zum grünen Kranze“ verbunden
Ein ausführlicher Text zur Entstehungsgeschichte vom Forschungsprojekt des Deutschen Volksliedarchivs:
Frauke Schmitz-Gropengiesser: Im Krug zum grünen Kranze (2012). In: Populäre und traditionelle Lieder. Historisch-kritisches Liederlexikon.
http://www.liederlexikon.de/lieder/im_krug_zum_gruenen_kranze/
Das volkstümliche Lied „Im Krug zum grünen Kranze“ entstand im ersten Drittel des 19. Jahrhunderts. Den Text veröffentlichte der Dichter Wilhelm Müller 1821. Im Jahr 1833 erschien es mit der Melodie des Liedes „Ich stand auf hohem Berge“ im Umkreis von Künstlern und Literaten und wurde schnell vor allem bei Vereinen und Studentenverbindungen populär. Die Beliebtheit dieses speziell in Männerrunden gepflegten Liedes ist bis heute ungebrochen.
I. Der Text von „Im Krug zum grünen Kranze“ stammt aus der 1821 erschienenen Sammlung „Sieben und siebzig Gedichte aus den hinterlassenen Papieren eines reisenden Waldhornisten“ des Dessauer Dichters, Literaturkritikers und Gymnasiallehrers Wilhelm Müller (1794–1827) (Edition A). Der durch seine beiden von Franz Schubert vertonten Gedichtzyklen „Die schöne Müllerin“ und „Die Winterreise“ bekannte Müller hat eine Reihe von Texten bis heute viel gesungener Lieder geschrieben (z. B. „Das Wandern ist des Müllers Lust„). 1830 erschien eine erste, weitgehend unbekannt gebliebene Vertonung von „Im Krug zum grünen Kranze“ in Franz Kuglers „Skizzenbuch“, einer Anthologie mit eigenen Gedichten, Liedern und Radierungen sowie solchen befreundeter Künstler (u. a. Adelbert von Chamisso). Vermutlich stammt die betreffende Komposition für Singstimme und Klavierbegleitung (Edition B) von Franz Kugler (1808–1858) selbst. Gemeinsam mit dem Maler und Dichter Robert Reinick (1805–1852) gab Kugler nur wenige Jahre später, 1833, ein „Liederbuch für deutsche Künstler“ heraus, in dem Müllers Text eine offenbar passendere „Volksmelodie“ zugewiesen wurde („Ich stand auf hohem Berge“; s. Erk/Böhme 1893, Nr. 89c). Nach dieser Melodie wird „Im Krug zum grünen Kranze“ bis heute gesungen (Edition C).
II. „Im Krug zum grünen Kranze“ findet sich im ersten, „Reiselieder. Wanderlieder eines rheinischen Handwerksburschen“ überschriebenen Teil von Wilhelm Müllers „Sieben und siebzig Gedichte[n] aus den hinterlassenen Papieren eines reisenden Waldhornisten“. Lyrisches Ich des fünfstrophigen Gedichtes ist ein reisender Handwerksbursche, der in einem Gasthaus einem anderen Wandergesellen begegnet. Ihm scheint es, als kenne man sich schon lange – Müller hat dem Gedicht den Titel „Brüderschaft“ gegeben –, man trinkt gemeinsam auf die „Liebste […] im Vaterland“. Der Autor nahm intensiv Anteil an der politischen Situation in Deutschland und war, als er 1818 von einer längeren Italienreise zurückkehrte, wo er ein relativ freies Leben in der römischen Künstlerkolonie kennengelernt hatte, von den zunehmend restaurativen Tendenzen enttäuscht. Seine Kritik brachte er in seinen Schriften und Gedichten verschlüsselt zum Ausdruck. Der letzte Vers von „Im Krug zum grünen Kranze“, in dem die beiden Liedprotagonisten vom „Vaterland“ sprechen, weist auf den seinerzeit verbreiteten, auch von Müller geteilten Wunsch nach Überwindung der kleinstaatlichen Zersplitterung Deutschlands. Der reisende Handwerksbursche war wie für viele romantische Dichter auch für Müller eine Projektionsfigur: Wandern verstand man als Aufbruch aus bürgerlicher Enge, ja Sinnbild von Freiheit. Diese ursprünglichen Textimplikationen treten in der Liedrezeption mehr und mehr in den Hintergrund. Carl Friedrich Zöllners 1854 erschienene Vertonung von „Im Krug zum grünen Kranze“ für Männerchor (op. 14 Nr. 3), bei der der Titel „Brüderschaft“ durch „Einkehr“ ersetzt wurde, belegt die Umdeutung zu einem Lied über Männerkameraderie im Wirtshaus und geselliges Trinken.
III. Bald nach dem Erscheinen im „Liederbuch für deutsche Künstler“ fand „Im Krug zum grünen Kranze“ Eingang in volkstümliche Gebrauchsliederbücher, z. B. in das von Carl Hase herausgegebene „Liederbuch des deutschen Volkes“ (Leipzig 1843). Gleichzeitig nahmen Studenten „Im Krug zum grünen Kranze“ als Trinklied in ihr Repertoire auf, das sie bei ihren geselligen Zusammenkünften mit obligatem Alkoholkonsum gern sangen. In einschlägigen Sammlungen, wie etwa im ersten Teil der 1847 erschienenen „Alte[n] und neue[n] Studenten-, Soldaten- und Volkslieder“ (Abb. 1), findet es sich entsprechend häufig. August Härtels „Deutsches Liederlexikon“ zählte „Im Krug zum grünen Kranze“ bereits 1867 zu den „besten und beliebtesten Liedern und Gesängen“. Eine zeitkritische, gegen den Wilhelminischen Obrigkeitsstaat gerichtete Kontrafaktur von „Im Krug zum grünen Kranze“ erschien 1895 in einem Liederbuch demokratischer Volksvereine. Dezidiert geäußert wird hier der Wunsch nach „Freiheit“ und „Recht“ im „Vaterland“ (Edition D). Für seine LP „Volkslieder III: Im Krug zum grünen Kranze“ (1978) hat das Folk-Duo „Zupfgeigenhansel“ diese Fassung des Liedes eingespielt.
IV. Die starke Rezeption von „Im Krug zum grünen Kranze“ setzt sich im 20. Jahrhundert fort (Abb. 2). Das Lied gehörte zum Repertoire allgemeiner Gebrauchsliederbücher, von Kommersliederbüchern und Liedsammlungen für Vereine und Berufsgruppen aller Art (Jäger, Forstleute, Bergleute, Techniker, Ruderer, Turner usw.). Nahe liegt die Aufnahme von „Im Krug zum grünen Kranze“ in diverse Sammlungen von Trinkliedern (z. B. „Akkordeon am Rhein. Die schönsten Lieder vom Rhein und vom Wein“, Mainz 1941; „Thekenlieder: Wir sind alle arme Sünderlein“, Bad Godesberg 1974; „Die schönsten Kneipenlieder“, Wiesbaden 1979). Der im Text beschriebene Ort mit seinen Konnotationen – ein Wirtshaus – inspirierte gelegentlich zu Parodien, die die Folgen übermäßigen Trinkens deutlich benennen (Edition E). In der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts erschien das Lied auf zahlreichen Tonträgern. „Krug zum grünen Kranze“ ist ein früher häufiger, heute noch verschiedentlich anzutreffender Gasthofname. Das gleichnamige, seit Mitte des 18. Jahrhunderts bestehende Gasthaus in Halle/Saale rühmt sich auf seiner aktuellen Homepage, Wilhelm Müller habe dort neben anderen Gedichten auch sein „Im Krug zum grünen Kranze“ geschrieben. Das betreffende Gasthaus war 1983–1991 Schauplatz der vom Fernsehen der DDR ausgestrahlten Sendung „Im Krug zum grünen Kranze“, die volkstümliche Lieder und Schlager präsentierte. Den gleichen Sendetitel trug eine 1969–1989 von der ARD produzierte Volksmusikshow, die Ruth Mönch und Willy Seiler in wechselnden Wirtshauskulissen moderierten.
FRAUKE SCHMITZ-GROPENGIESSER
(Mai 2012)
Editionen und Referenzwerke
- Hoffmann/Prahl 1900, S. 150 (Nr. 706).
- Böhme, Volksthüml. Lieder 1895, S. 238f. (Nr. 313).
Weiterführende Literatur
- Andreas Klenner: Kein Sänger der Weltflucht. Wilhelm Müller als kritischer Beobachter seiner Zeit. In: Wilhelm Müller. Eine Lebensreise. Zum 200. Geburtstag des Dichters. Hrsg. von Norbert Michels. Weimar: Verlag Hermann Böhlaus Nachfolger 1994, S. 71–75.
Quellenübersicht
- Ungedruckte Quellen: vergleichsweise wenige Aufzeichnungen aus mündlicher Überlieferung
- Gedruckte Quellen: vereinzelt auf Flugschriften, überaus häufig in Gebrauchsliederbüchern, etliche sonstige Rezeptionsbelege
- Bild-Quellen: verschiedentlich auf Liedpostkarten
- Tondokumente: sehr viele Tonträger
Berücksichtigt werden hier primär Quellen, die im Deutschen Volksliedarchiv (DVA) erschlossen sind. Hinsichtlich der Tonträger wurden auch die Bestände des Deutschen Musikarchivs (Leipzig) miteinbezogen.
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