Komm, lieber Mai, und mache
die Bäume wieder grün,
und lass mir an dem Bache
die kleinen Veilchen blühn!
Wie möcht ich doch so gerne
ein Veilchen wieder sehn,
ach, lieber Mai, wie gerne
einmal spazieren gehn!
Zwar Wintertage haben
wohl auch der Freuden viel:
man kann im Schnee eins traben
und treibt manch Abendspiel,
baut Häuserchen von Karten,
spielt Blindekuh und Pfand,
auch gibt’s wohl Schlittenfahrten
aufs liebe freie Land.
Kinderlieder – Album 1
Wiebke Hoogklimmer – Altstimme
Doch wenn die Vögel singen
und wir dann froh und flink
auf grünem Rasen springen,
das ist ein ander Ding!
Jetzt muss mein Steckenpferdchen
dort in dem Winkel stehen,
denn draussen in dem Gärtchen
kann man vor Schmutz nicht gehn.
Am meisten aber dauert
mich Lottchens Herzeleid:
das arme Mädchen lauert
recht auf die Blumenzeit;
Umsonst hol ich ihr Spielchen
zum Zeitvertreib herbei;
sie sitzt in ihrem Stühlchen
wie’s Hühnchen aus dem Ei.
Ach, wenn’s doch erst gelinder
und grüner draußen wär!
komm, lieber Mai! Wir Kinder,
wir bitten gar zu sehr!
O komm und bring vor allen
uns viele Veilchen mit,
bring auch viel Nachtigallen
und schöne Kuckucks mit.
Text: Christian Adolf Overbeck 1775 – (1755–1821)
Melodie: Wolfgang Amadeus Mozart 1791 – (1756-1791)
Ein ausführlicher Text zur Entstehungsgeschichte vom Forschungsprojekt des Deutschen Volksliedarchivs:
Frauke Schmitz-Gropengiesser: Komm, lieber Mai und mache (2009). In: Populäre und traditionelle Lieder. Historisch-kritisches Liederlexikon.
http://www.liederlexikon.de/lieder/komm_lieber_mai_und_mache/
„Komm, lieber Mai und mache“ ist im ausgehenden 18. Jahrhundert entstanden und zählt – anders als es der Titel auf den ersten Blick vermuten lässt – zu den Winterliedern. Autor des Gedichts ist Christian Adolf Overbeck. Mit der bekannten Melodie von Wolfgang A. Mozart ist es bis heute sehr beliebt, zumal als Kinderlied.
I. Das Lied beruht auf einem Gedicht des Lübecker Bürgermeisters und Dichters Christian Adolf Overbeck (1755–1821), das dieser unter dem Titel „Fritzchen an den May“ im Göttinger Musenalmanach aus dem Jahr 1776 veröffentlichte (Edition A). Diese literarische Zeitung erschien 1770–1807 und diente ab 1772 als Publikationsorgan des von Johann Heinrich Voß mitbegründeten Göttinger Hainbundes, eines der Geistesströmung des Sturm und Drang verpflichteten Literatenkreises. Overbeck selbst war nicht Mitglied des Hainbundes, stand ihm aber sehr nahe und veröffentlichte im Göttinger Musenalmanach noch mehrere andere Gedichte. Unter dem Titel: „Fritzchens Lieder“ gab Overbeck wenige Jahre später (1781) eine ganze Sammlung von Gedichten heraus, in denen das Erleben und Empfinden eines Jungen namens Fritzchen dargestellt wird. Darunter befindet sich auch „An den May“, das vorige „Fritzchen an den May“. Jedoch schreibt Overbeck in der Vorrede, dass mehrere der Gedichte – die im Inhaltsverzeichnis mit einem Sternchen versehen sind – auf keinen Fall von Kindern gelesen werden dürften, sondern dass sie nur für die Erwachsenen gedacht seien, die sich daran erfreuen könnten: Das betraf auch das Lied von Fritzchen „An den May“.
II. Aus der Sicht eines kleinen Jungen beschreibt das Lied in fünf Strophen die Sehnsucht danach, dass der Winter bald zu Ende ist und er nicht mehr immer in der Stube bleiben muss, sondern wieder zum Spielen hinaus ins Freie kann. Der Grund dafür, dass Overbeck dieses Lied mit einem Sternchen versehen hatte, war darin begründet, dass Fritzchen ein schlechtes Vorbild für Kinder abgebe: „Mein Frizchen – es wäre freilich besser, wenn er ein Engel hätte seyn können: aber er ist nun einmal ein Menschenkind“ (Vorrede). Denn der Junge beklagt etwa im Gedicht „An den May“, dass er in der Stube hocken und Vokabeln lernen müsse und den Tadel der Mutter auf sich ziehe, wenn er stattdessen lieber spielen möchte. Dazu kommt Fritzchens Zuneigung zu „Fiekchen“ – das Overbeck in der Sammlung „Fritzchens Lieder“ dann „Lotte“ nennt –, ein Umstand, der sich mit den sittlichen Vorstellungen des 18. Jahrhunderts offenbar nicht vereinbaren ließ.
III. „Komm, lieber Mai und mache“ ist bereits kurz nach seiner Veröffentlichung von G. H. L. Wittrock (1777), Marie Adelheid Eichner (1780) und Johann Friedrich Reichardt (1781) vertont worden. Während sich Wittrocks Liedkomposition (Edition B) unmittelbar an Overbecks Textvorlage orientierte, bot Reichardts Komposition eine leicht veränderte Textfassung des Liedes (Edition C): Hierbei war alles aus dem Text eliminiert worden, was Kritik eines Kindes an den Eltern oder sein Interesse am anderen Geschlecht zum Ausdruck bringt. Wer diese Änderungen vorgenommen hat, ob Reichardt oder Overbeck selbst oder ein anonymer Verfasser, ist nicht bekannt. Auf diese Weise wurde „Komm lieber Mai“ jedenfalls zu einem Kindergedicht, das ein braves und angepasstes Fritzchen darstellt. Seit Reichardt findet man dies nun meist unter der Überschrift „Sehnsucht nach dem Frühlinge“, zuerst in Christian Heinrich Wolkes Sammlung „Zweihundert und zehn Lider frölicher Geselschaft und einsamer Frölichkeit“ (1782), während der ursprüngliche Titel „Fritzchen an den May“ bzw. „An den May“ in der Folge verloren ging.
IV. Die heute bekannte Melodie stammt von Wolfgang Amadeus Mozart, der das Gedicht 1791 als Klavierlied (KV 596) vertonte (Edition D). Wenige Tage zuvor hatte Mozart das Rondo für sein letztes Klavierkonzert (KV 595) fertiggestellt, dessen Thema eine ganz ähnliche Melodie aufweist. Als Textvorlage lag ihm nicht die originale Fassung, sondern die veränderte Version der „Sehnsucht nach dem Frühling“ vor. Gegenüber den vorangegangenen Liedkompositionen – nach Wittrock, Eichner und Reichardt folgten noch Gotthelf Benjamin Flaschner (1789) und Franz Seydelmann (1790) – wurde Mozarts Fassung jedoch rasch die populärste. In seiner Vertonung war „Komm, lieber Mai und mache“ bereits im 19. Jahrhundert in Liederbüchern für Kinder, Familie oder Schule verbreitet. Daran änderte auch Robert Schumanns Neuvertonung, ebenfalls als Klavierlied, aus dem Jahr 1849 („Mailied“, op. 79/10) nichts.
V. Die breite Rezeption von Mozarts Lied nahm im 20. Jahrhundert noch zu. Auffällig ist, dass in den Jahren der Jugendbewegung und der NS-Herrschaft das Interesse an „Komm lieber Mai und mache“ stark nachließ. Aber seit den 1950er Jahren gehört „Komm, lieber Mai und mache“ zum Standardrepertoire in Gebrauchs- und Kinderliederbüchern. Im Allgemeinen werden dabei (seit Beginn des 20. Jahrhunderts) von den fünf Strophen der veränderten Textversion lediglich drei abgedruckt: Teils erscheinen die Strophen 1, 2 und 5, sehr viel häufiger jedoch die Strophen 1 und 2 mit einer neuen dritten Strophe, die eine Kompilation aus der ursprünglich 3. und 5. Strophe darstellt (Edition E).
FRAUKE SCHMITZ-GROPENGIESSER
(Mai 2009)Literatur
- Leif Ludwig Albertsen: Komm, lieber May! Der Einbruch der Antipädagogik in das Kinderlied der Vorromantik. In: Deutsche Vierteljahrszeitschrift für Literaturwissenschaft und Geistesgeschichte 43 (1969), S. 214–221.
- Neue Mozart Ausgabe, Serie III, Werkgruppe 8 (1963; dritte durchgesehene Aufl. 2003), S. 58 (Nr. 28), sowie kritischer Kommentar (1964), S. 158–162. < URL: http://dme.mozarteum.at/DME/nma/nmapub_srch.php?l=1 >
- Friedlaender 1902, Bd. 2, S. 282f. und 381.
- Böhme, Volksthüml. Lieder 1895, S. 470 (Nr. 629).
Weiterführende Literatur
- Theodor Brüggemann: Galanterie und Weltschmerz in „Frizchens Lieder“ (1781) von Chr. A. Overbeck. In: Philobiblon. Eine Vierteljahrsschrift für Buch- und Graphiksammler, 34 (Heft 4) (1990), S. 300–308.
Quellenübersicht
- Ungedruckte Quellen: kaum Aufzeichnungen aus mündlicher Überlieferung
- Gedruckte Quellen: sehr häufig in Gebrauchsliederbüchern, vereinzelt auf Flugschriften, etliche sonstige Rezeptionsbelege
- Bild-Quellen: gelegentlich auf Liedpostkarten
- Tondokumente: häufig auf Tonträger
Berücksichtigt werden hier primär Quellen, die im Deutschen Volksliedarchiv (DVA) erschlossen sind. Hinsichtlich der Tonträger wurden auch die Bestände des Deutschen Musikarchivs (Berlin) miteinbezogen.
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