Bunt sind schon die Wälder

Bunt sind schon die Wälder,
gelb die Stoppelfelder,
und der Herbst beginnt.
Rote Blätter fallen,
graue Nebel wallen,
kühler weht der Wind.

Wie die volle Traube
aus dem Rebenlaube
purpurfarbig strahlt!
Am Geländer reifen
Pfirsiche, mit Streifen
rot und weiß bemalt.

Kinderlieder-CD zum Mitsingen

Kinderlieder – Album 1
Wiebke Hoogklimmer – Altstimme

Sieh! Wie hier die Dirne
Emsig Pflaum‘ und Birne
In ihr Körbchen legt!
Dort, mit leichten Schritten,
Jene goldne Quitten
In den Landhof trägt!*
(*diese Strophe befindet sich nicht in den meisten Liederbüchern)

Flinke Träger springen,
und die Mädchen singen,
alles jubelt froh!
Bunte Bänder schweben
zwischen hohen Reben
auf dem Hut von Stroh.

Geige tönt und Flöte
bei der Abendröte
und im Mondesglanz;
junge Winzerinnen
winken und beginnen
frohen Erntetanz.

Text: Johann Gaudenz Freiherr von Salis-Seewis 1782 – (1762-1834)
Melodie: Johann Friedrich Reichardt 1799 – (1752-1814)

Ein ausführlicher Text zur Entstehungsgeschichte vom Forschungsprojekt des Deutschen Volksliedarchivs:
Waltraud Linder-Beroud, Tobias Widmaier: Bunt sind schon die Wälder (2007). In: Populäre und traditionelle Lieder. Historisch-kritisches Liederlexikon. http://www.liederlexikon.de/lieder/bunt_sind_schon_die_waelder/

Eines der bekanntesten Herbstlieder ist „Bunt sind schon die Wälder“, in dem ein idyllisches Bild bäuerlichen Lebens während der Erntezeit gezeichnet wird. Verfasst hat es 1782 Johann Gaudenz von Salis Seewis, ein junger Adliger aus Malans (Graubünden). In der Vertonung Johann Friedrich Reichardts von 1799 blieb es bis heute populär.

I. Unter dem Titel „Herbstlied“ erschien das Gedicht zuerst 1785 in dem von Johann Heinrich Voss publizierten „Musen Almanach für 1786“ in einer siebenstrophigen Fassung (Edition A). In einer 1793 von Friedrich Matthisson herausgegebenen Sammlung von Gedichten seines Freundes Salis-Seewis findet sich eine überarbeitete, fünfstrophige Fassung, die die Vorlage für nachfolgende Vertonungen bildete (Edition C). Das Gedicht besingt den Herbst als eine Zeit der Fröhlichkeit und Farbenpracht. Der schwere Alltag auf dem Lande wird verklärt: Die Schilderungen erwecken den Eindruck, Obsternte und Weinlese seien eher ein vergnügliches Spiel als körperliche Arbeit, und so klingen die Tage denn auch mit Musik und Tanz aus. Für die Zeittendenz zur Idyllisierung bezeichnend ist, dass ein letzter, in der Erstfassung noch enthaltener Hinweis auf die Realität bäuerlichen Lebens am Ende des 18. Jahrhunderts – die „frohen“ Erntetage nennt Salis-Seewis hier „Lohn für Müh‘ und Plage“ – bei der Neufassung getilgt wurde. Ebenso entfiel das Bild junger, „leicht geschürzter“ Erntehelferinnen, deren „Röckchen“ nur bis zu den Knien reichte.

II. Der Autor, Johann Gaudenz von Salis-Seewis (1762–1834), diente als Offizier der Schweizergarde in Paris und bis 1793 in anderen französischen Regimentern. Er sympathisierte mit den fortschrittlichen politischen Ideen der Französischen Revolution. Nach seiner Rückkehr in die Schweiz bekleidete er verschiedene politische Ämter. Als Dichter genoss Salis-Seewis seinerzeit große Wertschätzung, was sich auch an der hohen Zahl von Vertonungen ablesen lässt: Von Franz Schubert sind allein mehr als 20 Vokalwerke auf Salis-Texte überliefert. Zu den von Komponisten mehrfach aufgegriffenen Gedichten zählen „Traute Heimat meiner Lieben“ oder „Das Grab ist tief und stille“, aber als Lied ist keines davon so anhaltend rezipiert worden wie „Bunt sind schon die Wälder“.

III. Bereits unmittelbar nach der Veröffentlichung im „Musen Almanach“ 1785 wurde Salis-Seewis‘ siebenstrophiges „Herbstlied“ durch Johann Georg Witthauer (1751–1802) erstmals vertont und erschien noch im gleichen Jahr in dessen zweiter „Sammlung vermischter Clavier- und Singstücke“ (Edition B). Die ab 1793 kursierende fünfstrophige Textfassung setzte dann eine ganze Reihe von Komponisten in Musik, u. a. Franz Schubert (1816, D 502) und der „Schweizer Sängervater“ Hans Georg Nägeli (1810). Noch vor 1800 erschienen Vertonungen von Peter Grönland (Notenbuch zum Akademischen Liederbuch, 1796), von Friedrich Ludwig Seidel – zuerst 1797 in den „Liedern geselliger Freude“ (Edition D) und übernommen in das ab 1799 mehrfach aufgelegte, einflussreiche „Mildheimische Liederbuch“ – sowie von Johann Friedrich Reichardt (Liederbuch für die Jugend, 1799). Dem ästhetischen Zeitideal des schlichten Kunstliedes im Volkston hing auch Reichardt an. In einem Artikel seines „Musikalischen Kunstmagazins“ bezeichnete er es 1782 als höchste und zugleich „schwerste Aufgabe“ eines Komponisten, „ein Lied in wahrem Volksinn zu machen“. Mit seiner Melodie ist „Bunt sind schon die Wälder“ bis heute untrennbar verbunden geblieben (Edition E).

IV. „Bunt sind schon die Wälder“ wurde im Lauf des 19. und 20. Jahrhunderts in viele Liedanthologien aufgenommen, vor allem auch in Kinder- und Schulliederbücher. 1845 erschien das Lied mit Reichardts Melodie sogar in einer Übersetzung unter dem Titel „Autumnal song“ in einem amerikanischen Schulliederbuch (Edition F), hat aber im englischen Sprachraum nur sehr begrenzte Verbreitung gefunden. Eine besondere Fassung bietet das „Lieder-Buch für Kleinkinder-Schulen“ des evangelischen Theologen Theodor Fliedner (1800–1864), dem Gründer des Diakonissenwerkes. Dort ist die ursprüngliche Schlussstrophe durch eine religiöse Danksagung für die Gaben der Erntezeit ersetzt (Edition G). In der heute gängigen vierstrophigen Fassung (Edition H) ist die Formulierung der letzten Liedzeile vom „deutschen Ringeltanz“ durch „frohen Erntetanz“ ersetzt. Auffällig ist, dass der Höhepunkt der publizistischen Streuung des Liedes „Bunt sind schon die Wälder“ erst nach 1950 liegt.

WALTRAUD LINDER-BEROUD
TOBIAS WIDMAIER
(November 2005 / September 2007)

Literatur

  • Georg Walter: Salis-Kompositionen. In: Mitteilungen der Schweizerischen Musik­forschenden Gesellschaft 2 (1935), S. 1-13 u. 32-38 (zu den „Herbstlied“-Vertonungen S. 32f.)

Editionen und Referenzwerke

Quellenübersicht

  • Ungedruckte Quellen: kaum Aufzeichnungen aus mündlicher Überlieferung
  • Gedruckte Quellen: überaus häufig in Gebrauchsliederbüchern
  • Bild-Quellen: gelegentlich auf Liedpostkarten
  • Tondokumente: viele Tonträger

Berücksichtigt werden hier primär Quellen, die im Deutschen Volksliedarchiv (DVA) erschlossen sind. Hinsichtlich der Tonträger wurden auch die Bestände des Deutschen Musikarchivs (Leipzig) mitein­bezogen.


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