Der Mai ist gekommen

Der Mai ist gekommen, die Bäume schlagen aus.
Da bleibe, wer Lust hat, mit Sorgen zu Haus.
Wie die Wolken wandern am himmlischen Zelt,
So steht auch mir der Sinn in die weite, weite Welt.

Herr Vater, Frau Mutter, daß Gott euch behüt‘!
Wer weiß, wo in der Ferne mein Glück mir noch blüht.
Es gibt so manche Straße, da nimmer ich marschiert;
Es gibt so manchen Wein, den ich nimmer noch probiert.

Kinderlieder-CD zum Mitsingen

Kinderlieder – Album 1
Wiebke Hoogklimmer – Altstimme

Frisch auf drum, frisch auf im hellen Sonnenstrahl,
Wohl über die Berge, wohl durch das tiefe Tal!
Die Quellen erklingen, die Bäume rauschen all –
Mein Herz ist wie’ne Lerche und stimmet ein mit Schall.

Und abends im Städtchen, da kehr ich durstig ein:
Herr Wirt, mein Herr Wirt, eine Kanne blanken Wein!
Ergreife die Fiedel, du lustiger Spielmann du,
von meinem Schatz das Liedel das sing ich dazu.

Und find ich keine Herberg‘, so lieg‘ ich zur Nacht
wohl unter blauem Himmel, die Sterne halten Wacht.
im Winde die Linde, die rauscht mich ein gemach,
es küsset in der Früh‘ das Morgenrot mich wach.

O Wandern, o Wandern, Du freie Burschenlust!
Da wehet Gottes Odem so frisch in die Brust;
Da singet und jauchzet das Herz zum Himmelszelt:
Wie bist du doch so schön, o du weite, weite Welt!

Text: Emanuel Geibel 1841 – (1815–1884)
Melodie: Justus Wilhelm Lyra 1843 – (1822–1882)

Ein ausführlicher Text zur Entstehungsgeschichte vom Forschungsprojekt des Deutschen Volksliedarchivs:
Tobias Widmaier: Der Mai ist gekommen (2008). In: Populäre und traditionelle Lieder. Historisch-kritisches Liederlexikon.
http://www.liederlexikon.de/lieder/der_mai_ist_gekommen/

„Der Mai ist gekommen“ gehört seit seiner Entstehung zu den populärsten deutschsprachigen Frühlingsliedern. Der Text stammt von Emanuel Geibel (1841, veröffentlicht 1842), die Vertonung von Justus Wilhelm Lyra (1842, veröffentlicht 1843).

I. Der Dichter Emanuel Geibel (1815–1884) schrieb „Der Mai ist gekommen“ Anfang Mai 1841. Bei Kenntnis seiner damaligen Lebensumstände wird die persönliche Färbung des Gedichts deutlich. Der Sohn eines Pastors hielt sich nach einem Studium der Klassischen Philologie in Bonn und Berlin sowie einer Anstellung als Hauslehrer in Athen für einige Zeit wieder in seiner Heimatstadt Lübeck auf. An Ostern 1841 starb seine Mutter. Doch hellte sich Geibels Stimmung auf, als Freiherr Karl von der Malsburg ihn kurz darauf einlud, zu Bibliotheksstudien auf sein in der Nähe von Kassel gelegenes Schloss Escheberg zu kommen. In der Freude über den nahen Aufbruch dorthin entstand das im Erstdruck „Wanderlied“ betitelte Gedicht, in dem der Frühling das lyrische Ich — einen jungen Mann — „in die weite, weite Welt“ lockt. Die Verheißungen der bevorstehenden Reise (Naturerlebnisse, Wein und Gesang im Gasthof) werden reich ausgemalt. Zuerst veröffentlicht worden ist „Der Mai ist gekommen“ im Mai 1842 in der in Kassel erscheinenden Zeitschrift „Der Salon“, einem „Unterhaltungsblatt für Gebildete“ (Edition A). Geibel hat in einem späteren Gedicht („Ich fuhr nach St. Goar“, in: Neue Gedichte 1856) die Entstehung von „Der Mai ist gekommen“ in seine Bonner Studentenzeit zurückverlegt, eine „poetische Fiktion“ (Geibel 1878), die in der Folge (und teilweise bis heute) zu falschen Datierungen seiner bekanntesten lyrischen Schöpfung führte (Edition C).

II. Emanuel Geibel ist der nach Heinrich Heine meist vertonte deutsche Dichter des 19. Jahrhunderts (vgl. Wilhelm Stahl; Abb. 1). Offenbar traf seine Lyrik den Nerv der Zeit: „Er war ein Dichter der schwindenden Idylle, der Sehnsucht nach einem einfachen, übersichtlichen und religiös geordneten Leben“ (Hans Wißkirchen), zugleich wurde er als „Herold des Reiches“ gefeiert („Und es mag am deutschen Wesen / Einmal noch die Welt genesen“). Wie viele Dichter seit Herder beschwor auch Geibel das „Volkslied“ als Inspirationsquelle: „Zwischen Blumen im Wald hinrieselt ein Brunnen, das Volkslied, / Dort in’s verjüngende Bad taucht sich die Muse bei Nacht“ (Ges. Werke 1883). So trägt auch „Der Mai ist gekommen“ durchaus volksliedhafte Züge.

III. Angeregt durch ein Treffen mit Hoffmann von Fallersleben beschlossen 1842 drei Berliner Studenten (Rudolph Löwenstein, Justus Wilhelm Lyra, Hermann Schauenburg), gemeinsam ein Liederbuch zusammenzustellen und herauszugeben. Die unter dem Titel „Deutsche Lieder“ 1843 erschienene Sammlung — ein Vorläufer des „Allgemeinen Deutschen Kommersbuches“ — enthielt neben bereits viel gesungenen Titeln eine Reihe neuer Liedkompositionen aus der Feder des musikbegabten Justus Wilhelm Lyra (1822–1882), der später Pastor wurde. Für das Liederbuch vertonte er auch Geibels „Der Mai ist gekommen“ (Edition B). Mit dieser Melodie im Volksliedton wurde das Lied rasch populär. Man hielt sie zunächst allgemein für eine anonyme Volksweise (Edition C). Erst seit Max Friedlaender 1892 auf die (wohl bewusst) versteckte Komponistenangabe in „Deutsche Lieder“ aufmerksam machte, wird die Vertonung auch korrekt Justus Wilhelm Lyra zugeschrieben.

IV. „Der Mai ist gekommen“ erfuhr in der Vertonung Lyras eine breite Rezeption, die bis heute ungebrochen ist. Das Lied erfreute sich in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts vor allem in studentischen Kreisen großer Wertschätzung. Auch in das Männerchor-Repertoire fand es Aufnahme, etwa durch den Satz Friedrich Silchers (zuerst in „XII Volkslieder“, 8. Heft op. 50, Tübingen 1846). Im 20. Jahrhundert war „Der Mai ist gekommen“ als Frühlings- und Wanderlied (Abb. 2), daneben auch als Schul- und Kinderlied (Abb. 3) allgemein beliebt. Eine besondere lokale Tradition besteht in Osnabrück, Lyras Geburtsort, wo alljährlich am Abend des 30. April an einem ihm zu Ehren 1905 errichteten Gedenkstein der Mai eingesungen wird. Geibels Gedicht wurde neben Lyra noch von weiteren Komponisten vertont (u. a. Friedrich Kücken op. 53,5; Vinzenz Lachner op. 15,2), doch fanden die entsprechenden Lieder allenfalls sehr begrenzten Widerhall.

V. Ein Ausdruck der Popularität von „Der Mai ist gekommen“ sind die in Umlauf gebrachten Parodien: Im Mai 1907 etwa erschien in einer Tageszeitung eine Umdichtung aus aktuellem Anlass (Edition D), die die in diesem Jahr besonders lang anhaltende Frostperiode thematisierte („Der Mai ist gekommen, kein Bäumlein schlägt aus“). Als „Freie Fassung nach dem Urtext von Emanuel Geibel“ veröffentlichte im Mai 1978 die Wochenzeitung des Deutschen Gewerkschaftsbundes „Welt der Arbeit“ ein „Mailied der Erwerbslosen“ (Edition E). Auch die Werbewirtschaft hat auf die Bekanntheit des Liedes gesetzt (Abb. 4).

TOBIAS WIDMAIER
(Februar 2008)

Literatur

  • Karl Reisert: Der Mai ist gekommen. In: ders.: Aus dem Leben und der Geschichte deutscher Lieder. Freiburg i. Br. 1929, S. 124–129 (Zitat Geibel 1878 S. 126).
  • Wilhelm Stahl: Emanuel Geibel und die Musik. Berlin 1919 (zu „Der Mai ist gekommen“ S. 49–51).

Editionen und Referenzwerke

  • Hoffmann/Prahl 1900, S. 45f. (Nr. 208).
  • Böhme, Volksthüml. Lieder 1895, S. 384f. (Nr. 512).
  • Friedlaender, Commersbuch 1892, S. 35 (Nr. 33); Kommentar (S. 151f.).

Weiterführende Literatur

  • Hans Wißkirchen: Emanuel Geibel (1815–1884) – Von der Notwendigkeit einer literarischen Wiederentdeckung. In: Focus MUL. Zeitschrift für Wissenschaft, Forschung und Lehre an der Universität zu Lübeck 23 (2006), S. 90–101 (Zitat S. 98).
  • Ilsetraut Lindemann: Justus Wilhelm Lyra. Ein Leben zwischen Biedermeier und Kaiserreich. Osnabrück 1987.
  • Max Bär, Fr. Ziller: Justus Wilhelm Lyra, der Komponist des Liedes „Der Mai ist gekommen“. Leipzig 1901.
  • Emanuel Geibel: Gesammelte Schriften, Bd. 5, Stuttgart 1883, S. 85 (Zitat „Zwischen Blumen…“).

Quellenübersicht

  • Ungedruckte Quellen: vergleichsweise wenige Aufzeichnungen aus mündlicher Überlieferung
  • Gedruckte Quellen: verschiedentlich auf Flugschriften, überaus häufig in Gebrauchsliederbüchern, etliche sonstige Rezeptionsbelege
  • Bild-Quellen: öfters auf Liedpostkarten
  • Tondokumente: sehr viele Tonträger

Berücksichtigt werden hier primär Quellen, die im Deutschen Volksliedarchiv (DVA) erschlossen sind. Hinsichtlich der Tonträger wurden auch die Bestände des Deutschen Musikarchivs (Berlin) miteinbezogen.

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