Der Winter ist ein rechter Mann

Der Winter ist ein rechter Mann,
Kernfest und auf die Dauer;
Sein Fleisch fühlt sich wie Eisen an,
Und scheut nicht süß noch sauer.

War je ein Mann gesund wie er?
Er krankt und kränkelt nimmer,
Er trotzt der Kälte wie ein Bär
und schläft im kalten Zimmer.*
(*diese Strophe steht nicht in jedem Liederbuch)

Kinderlieder-CD zum Mitsingen

Kinderlieder – Album 1
Wiebke Hoogklimmer – Altstimme

Er zieht sein Hemd im Freien an
und läßt´s vorher nicht wärmen
und spottet über Fluß im Zahn
und Grimmen in Gedärmen.

Aus Blumen und aus Vogelsang
weiß er sich nichts zu machen,
Haßt warmen Trank und warmen Klang
und alle warmen Sachen.

Doch wenn die Füchse bellen sehr,
wenn´s Holz im Ofen knittert,
und um den Ofen Knecht und Herr
die Hände reibt und zittert;

Wenn Stein und Bein vor Frost zerbricht
und Teich und Zehen krachen:
Das klingt ihm gut, das haßt er nicht,
dann will er tot sich lachen.

Sein Schloß von Eis liegt ganz hinaus
Beim Nordpol an dem Strande,
Doch hat er auch ein Sommerhaus
im lieben Schweizerlande.

Da ist er denn bald dort, bald hier,
gut Regiment zu führen,
und wenn er durchzieht, stehen wir
und sehn ihn an und frieren.

Text: Matthias Claudius 1782 – (1740 – 1815)
Melodie: Johann Friedrich Reichardt 1797 – (1752 – 1814)

Ein ausführlicher Text zur Entstehungsgeschichte vom Forschungsprojekt des Deutschen Volksliedarchivs:
Tobias Widmaier: Der Winter ist ein rechter Mann (2013). In: Populäre und traditionelle Lieder. Historisch-kritisches Liederlexikon.
http://www.liederlexikon.de/lieder/der_winter_ist_ein_rechter_mann/

Das 1783 unter dem Titel „Ein Lied hinterm Ofen zu singen“ erschienene Gedicht „Der Winter ist ein rechter Mann“ von Matthias Claudius ist vielfach vertont worden. Im 19. Jahrhundert fand „Der Winter ist ein rechter Mann“ vor allem als Schullied Verwendung. Breiterer Bekanntheit erfreute sich das humoristische Winterlied noch bis in die zweite Hälfte des 20. Jahrhunderts.

I. Unter dem Titel „Ein Lied hinterm Ofen zu singen“ veröffentlichte Matthias Claudius (1740–1815) im 4. Teil seiner „Sämtlichen Werke des Wandsbecker Bothen“ (1783) ein Winter-Gedicht, in dem er die kälteste Zeit des Jahres auf humorvolle Weise porträtierte (Edition A). Der Winter wird darin als „rechter“ und „kernfest[er]“ Mann bezeichnet, dem nur bei Frost behaglich sei. Aus Blumen oder Vogelgesang mache er sich nichts, überhaupt hasse er „alle warmen Sachen“ (Str. 4). Freude bereite ihm dagegen, wenn „um den Ofen Knecht und Herr / die Hände reibt und zittert“ (Str. 5). Wechselweise halte er sich in seinem „Schloß von Eis“ am Nordpol oder in seinem „Sommerhaus“ in der Schweiz auf, „und wenn er durchzieht, stehen wir / und sehn ihn an und frieren“ (Str. 8). Die wohl früheste Vertonung des Gedichtes erschien in Christoph Rheinecks „Dritter Lieder-Sammlung“ (Memmingen 1784). Das Lied von Rheineck (1748–1797) wurde zu Beginn des 20. Jahrhunderts wiederentdeckt (Friedlaender 1902) und 1930 in das im Auftrag des Preußischen Kultusministeriums herausgegebene „Volksliederbuch für die Jugend“ aufgenommen (Edition E).

II. Claudius gehörte zu jenen Dichtern des ausgehenden 18. Jahrhunderts, deren lyrische Produktion wesentlich vom ästhetischen Konzept des „Volkstones“ geprägt war; man wollte „popular“ schreiben, und das meinte im Sinne der Zeit: einfach und anschaulich. Zielgruppe dieser Gedichte war zunächst und primär das bürgerliche Lesepublikum. Auch viele damalige Liedkomponisten verfolgten entsprechende Ideen, darunter Johann Abraham Peter Schulz, der für seine Sammlung „Lieder im Volkston“ (3 Hefte 1782, 1785 u. 1790) neben „Der Mond ist aufgegangen“ eine Reihe weiterer Gedichte aus der Feder von Matthias Claudius vertonte. Eine Vertonung von „Der Winter ist ein rechter Mann“ haben 1790 allein drei Komponisten vorgelegt: Schulz („Lieder im Volkston“, H. 3; ed. Dürr/Steiner 2006), Johann Adam Hiller („Letztes Opfer in einigen Liedermelodieen“) sowie Johann Friedrich Rellstab („Lieder für Kinder aus Campes Kinderbibliothek mit Melodieen, bey dem Klavier zu singen“, Teil 4; Edition B). Mit der Singweise Rellstabs fand „Der Winter ist ein rechter Mann“ im Anschluss Eingang in das populäre „Mildheimische Liederbuch“ (Melodienband, 1. Aufl. 1799, Nr. 83).

III. Im 19. Jahrhundert wurde „Der Winter ist ein rechter Mann“ als Jahreszeitenlied vor allem im schulischen Gesangsunterricht gepflegt. Viele Schulliederbücher enthielten dabei Claudius‘ „Lied hinterm Ofen zu singen“ mit einer Melodie, die man dem bereits genannten Johann Friedrich Rellstab zuschrieb (z. B. Edition C; s. entsprechend Böhme 1895), eine bislang nicht verifizierbare Angabe, die auch in Gebrauchsliederbüchern des 20. Jahrhunderts weiter tradiert wurde (s. Anmerkung zu Edition C). Friedrich Wilhelm Eigendorf veröffentlichte in seiner Sammlung „Dreißig zweistimmige Kinderlieder für Volksschulen“ (Halle 1847) eine eigene Vertonung von „Der Winter ist ein rechter Mann“ (Nr. 29); eine Vertonung von Franz Abt hingegen enthält die von Wilhelm Döderlein „für den Gesangunterricht in Mittelschulen“ zusammengestellte Sammlung „120 Lieder Geistlich und Weltlich“ (Nördlingen 1858).

IV. Mit einer weiteren Melodie ungeklärter Herkunft ist das Lied „Der Winter ist ein rechter Mann“ in verschiedenen Liederbüchern der Wandervogel- und Jugendbewegung nachzuweisen. Der erste entsprechende Beleg findet sich in der 1910 von L. Carrière und Walther Werckmeister herausgegebenen Sammlung „Liederborn“ (Edition D); Werckmeisters „Deutsches Lautenlied“ (1. Aufl. 1916) bezeichnet diese Melodie als „Volksweise aus Sachsen“ (Nr. 85). Im 20. Jahrhundert entstand darüber hinaus eine Anzahl weiterer Vertonungen von Claudius‘ „Lied hinterm Ofen zu singen“, etwa durch Engelbert Humperdinck („Sang und Klang für’s Kinderherz“, 1909), Othmar Schoeck („Wandsbecker Liederbuch“, op. 52, 1937), Rudolf Korn (1946; aufgenommen im „Altenberger Singebuch“), Georg Götsch („Deutsche Chorlieder“, 1. Teil, 1949), Wilhelm Keller („Wandsbecker Weisen“, 1955) sowie in jüngerer Zeit durch den Kinderliedermacher Rolf Zuckowski (1986). Das „Lied hinterm Ofen zu singen“ erfreute sich demnach auch im 20. Jahrhundert einer recht starken Rezeption, ohne dass eine dominante Singweise auszumachen wäre.

TOBIAS WIDMAIER
(Juni 2013)

Editionen und Referenzwerke

  • Johann Abraham Peter Schulz: Lieder im Volkston. Hrsg. von Walther Dürr und Stefanie Steiner. München 2006 (Das Erbe deutscher Musik 105), S. 149 (Nr. 98).
  • Friedlaender 1902, Bd. 2, S. 257; zur Vertonung von Christoph Rheineck s. Bd. 1/1, S. 36 u. 253 sowie Bd. 1/2, S. 309 (Edition).
  • Hoffmann/Prahl 1900, S. 50 (Nr. 231).
  • Böhme, Volkthüml. Lieder 1897, S. 176 (Nr. 220).

Quellenübersicht

  • Ungedruckte Quellen: keine Aufzeichnungen aus mündlicher Überlieferung
  • Gedruckte Quellen: sehr häufig in Gebrauchsliederbüchern
  • Bild-Quellen: —
  • Tondokumente: etliche Tonträger

Berücksichtigt werden hier primär Quellen, die im Deutschen Volksliedarchiv (DVA) erschlossen sind. Hinsichtlich der Tonträger wurden auch die Bestände des Deutschen Musikarchivs (Leipzig) miteinbezogen.

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