Es flog ein klein Waldvögelein

Es flog ein klein* Waldvögelein
Der Liebsten vor die Tür,
Klopft an mit seinem Schnäbelein,
Gar still mit aller Zier:
„Ich bin so weit geflogen
In Kummer und Sorgen groß,
Doch still und ganz verborgen
Der Liebsten in den** Schoß.“
*oder: Es flog ein kleins Waldvögelein
**oder: ihrn

Kinderlieder-CD zum Mitsingen

Kinderlieder – Album 1
Wiebke Hoogklimmer – Altstimme

„So grüß dich Gott im Herzen,
Du schöns Waldvögelein!
Vertreibst mir viel der Schmerzen,
Daß du bei mir kehrst ein:
Bist du so weit geflogen
In Kummer und großer Gefahr,
Dir bleib ich g’neigt und g’wogen
Mit großer Liebe gar!“

„Bin ich geflogen über Berg und Tal,
Doch mit sehr großer Müh,
Und such mein Lieb ganz überall,
Trag Sorg, sie sei nicht hie.
Herzlieb, bist du vorhanden,
tröst mich Waldvögelein,
In dein schneeweiße Hände
Schleuß du, Herzlieb, mich ein!“

Text: Süddeutschland, vermutlich in der 2. Hälfte des 16. Jahrhunderts
Melodie: entnommen dem „Memminger Tabulaturbuch“ (um 1640) und von Franz Magnus Böhme (1827-1898) in seinem „Altdeutschen Liederbuch“ 1877 veröffentlicht

Ein ausführlicher Text zur Entstehungsgeschichte vom Forschungsprojekt des Deutschen Volksliedarchivs:
Frauke Schmitz-Gropengiesser: Es flog ein klein Waldvögelein der Liebsten vor die Tür (2008). In: Populäre und traditionelle Lieder. Historisch-kritisches Liederlexikon.
http://www.liederlexikon.de/lieder/es_flog_ein_kleines_waldvoegelein_der_liebsten_vor_die_tuer/

Das vermutlich in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts im süddeutschen Raum entstandene Liebeslied „Es flog ein klein Waldvögelein der Liebsten vor die Tür“ ist im 17. Jahrhundert verschiedentlich nachweisbar. Nach seiner Wiederentdeckung als „altdeutsches“ Lied Ende des 19. Jahrhunderts wurde es vor allem im Rahmen der Jugendbewegung in verkürzter Form in Liederbücher aufgenommen und fand in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts größere Verbreitung. Seit den 1960er Jahren nimmt die Rezeption deutlich ab.

I. In einer um 1600 herausgebrachten Flugschrift des Augsburger Druckers Valentin Schönigk (1544–1614) lässt sich das Lied mit dem Incipit „Es fleügt ein kleines Waldvögelein der Lieben für die Thür“ erstmals belegen (Edition A). In dem anonymen, zehnstrophigen Text wendet sich ein Mann an seine Geliebte und malt dabei seine Hinneigung zu ihr bildhaft aus, indem er sich mit bestimmten (zugeschriebenen) Eigenschaften von Vögeln vergleicht. So nennt er etwa als Symbol für die Opferbereitschaft den Pelikan, für die Sehnsucht die Turteltaube und für seine brennende Leidenschaft den Phönix.

II. Im 16. und 17. Jahrhundert erfährt das Lied eine gewisse Präsenz in Flugschriften und Liedsammlungen, darunter auch mit Textveränderungen. Hilarius Lustig von Freudenthal veröffentlichte es um 1670 in seiner Sammlung „Tugendhaffter Jungfrauen und Junggesellen Zeitvertreiber“ (Edition B). Dieser Text weist einige Abweichungen zu jenem aus der erwähnten, um 1600 gedruckten Augsburger Flugschrift auf: So ist die frivole Andeutung in der ersten Strophe hier deutlich abgeschwächt entsprechend Freudenthals Bekundung, die Lieder seiner Sammlung von Derbheiten gereinigt zu haben. Der deutlichste Unterschied liegt jedoch darin, dass „Es flog ein klein Waldvögelein der Liebsten für die Thür“ bei Freudenthal als Dialog zwischen einem Mann und seiner Geliebten gestaltet ist.

III. Im 16. Jahrhundert gab es noch weitere Lieder mit dem Incipit „Es flog ein klein Waldvögelein“, aber es handelt sich um unterschiedliche Liedtypen: zum einen um das Liebeslied „Es flog ein klein Waldvögelein der Liebsten fürs Fensterlein“ (Erk/Böhme Nr. 415), sowie um „Es flog ein kleins Waldvögelein aus Himmelsthrone“ (Erk/Böhme Nr. 1922), ein Verkündigungslied an Maria. In Liederbüchern kommt es hier verschiedentlich zu Verwechslungen, insbesondere bei den Quellennachweisen.

IV. In der Augsburger Flugschrift findet sich zu diesem Lied die Melodieangabe „Im Thon: Von deinet wegen bin ich hie“, ein seinerzeit recht verbreitetes Liebeslied. Nicht auf diese Melodie aber wurde das Lied im 20. Jahrhundert gesungen: Rezeptionsgeschichtlich durchgesetzt hat sich eine andere Melodie, die Franz Magnus Böhme in seinem „Altdeutschen Liederbuch“ (1877) veröffentlicht hat und die er einem um 1640 entstandenen handschriftlichen „Memminger Tabulaturbuch“ entnommen habe. Laut Böhme ist die entsprechende Melodie dort mit „Es flog ein kleins Waldvögelein wol für des Liebchens Thür“ überschrieben, der weitere Liedtext werde nicht mitgeteilt (Edition C). Der Verbleib dieses Tabulaturbuchs ist unbekannt.

V. Im „Deutschen Liederhort“ (Erk/Böhme 1894) hat Franz Magnus Böhme zu dieser Melodie aus dem „Memminger Tabulaturbuch“ die Fassung des Liedtextes aus Hilarius Lustigs Textsammlung „Tugendhaffter Jungfrauen… Zeitvertreiber“ unterlegt und damit eine Liedform konstruiert, von der fraglich ist, ob es sie in dieser Form je gegeben hat. Böhme versah das Lied noch mit dem Titel „Der Ritter zum Besuch“. Diese Kompilation wurde Ausgangspunkt für die Liedrezeption im 20. Jahrhundert. Das Lied vom Waldvögelein wurde in der Folge rasch in Gebrauchsliederbücher übernommen. Es findet sich u. a. in Liederbüchern der Jugendbewegung (z. B. „Was singet und klinget. Lieder der Jugend“, 1923) und Chorliederbüchern (z. B. „Perlen alter Tonkunst“ für drei- bis vierstimmigen Frauenchor, 1. Heft, 1936), im Allgemeinen verkürzt auf die ersten drei Strophen, so dass die Vogel-Metaphorik gänzlich aus dem Lied verschwindet. Noch in den 1950er Jahren ist es in dieser verkürzten Fassung in Vereins-, Heimat- und Jugendliederbüchern nachzuweisen (Edition D). Seit den 1960er Jahren werden die Rezeptionsbelege jedoch immer spärlicher. In aktuellen Liedsammlungen ist „Es flog ein klein Waldvögelein der Liebsten vor die Tür“ nicht mehr vertreten. Beispielhaft dafür steht etwa das „Liederbuch für Schleswig-Holstein“ (1956, 1970), dessen Neuausgabe im Jahr 2001 das Lied nicht mehr enthält.

FRAUKE SCHMITZ-GROPENGIESSER
(November 2008)

Editionen und Referenzwerke

Quellenübersicht

  • Ungedruckte Quellen: keine Aufzeichnungen aus mündlicher Überlieferung
  • Gedruckte Quellen: vereinzelt auf Flugschriften, häufig in Gebrauchsliederbüchern
  • Bild-Quellen: —
  • Tondokumente: selten auf Tonträger

Berücksichtigt werden hier primär Quellen, die im Deutschen Volksliedarchiv (DVA) erschlossen sind. Hinsichtlich der Tonträger wurden auch die Bestände des Deutschen Musikarchivs (Berlin) miteinbezogen.

© Deutsches Volksliedarchiv

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