Ich steh an deiner Krippen hier

Ich steh an deiner Krippen hier,
o Jesu du mein Leben;
Ich komme, bring und schenke dir,
was du mir hast gegeben.
Nimm hin, es ist mein Geist und Sinn,
Herz, Seel und Mut, nimm alles hin
und laß dir’s wohlgefallen.

Da ich noch nicht geboren war,
da bist du mir geboren
und hast mich dir zu eigen gar,
eh ich dich kannt, erkoren.
Eh ich durch deine Hand gemacht,
da hast du schon bei dir bedacht,
wie du mein wolltest werden.

Weihnachtslieder-CD zum Mitsingen

Weihnachtslieder – Album 2
Wiebke Hoogklimmer – Altstimme

Ich lag in tiefster Todesnacht,
Du warest meine Sonne,
die Sonne, die mir zugebracht
Licht, Leben, Freud und Wonne.
O Sonne, die das werte Licht
des Glaubens in mir zugericht‘,
wie schön sind deine Strahlen!

Ich sehe dich mit Freuden an
und kann mich nicht satt sehen;
und weil ich nun nichts weiter kann,
bleib ich anbetend stehen.
O daß mein Sinn ein Abgrund wär
und meine Seel ein weites Meer,
daß ich dich möchte fassen!

Wann oft mein Herz im Leibe weint
und keinen Trost kann finden,
rufst du mir zu: „Ich bin dein Freund,
ein Tilger deiner Sünden.
Was trauerst du, o Bruder mein?
Du sollst ja guter Dinge sein,
ich zahle deine Schulden.“

O daß doch so ein lieber Stern
soll in der Krippen liegen!
Für edle Kinder großer Herrn
gehören güldne Wiegen.
Ach Heu und Stroh ist viel zu schlecht,
Samt, Seide, Purpur wären recht,
dies Kindlein drauf zu legen.

Nehmt weg das Stroh, nehmt weg das Heu,
ich will mir Blumen holen,
daß meines Heilands Lager sei
auf lieblichen Violen;
mit Rosen, Nelken, Rosmarin
aus schönen Gärten will ich ihn
von oben her bestreuen.

Du fragest nicht nach Lust der Welt
noch nach des Leibes Freuden;
Du hast dich bei uns eingestellt,
an unsrer Statt zu leiden,
suchst meiner Seele Herrlichkeit
durch Elend und Armseligkeit;
das will ich dir nicht wehren.

Eins aber, hoff ich, wirst du mir,
mein Heiland, nicht versagen:
Daß ich dich möge für und für
in, bei und an mir tragen.
So laß mich doch dein Kripplein sein;
komm, komm und lege bei mir ein
Dich und all deine Freuden.

(Strophen aus dem evangelischen Gesangbuch)

Text: Paul Gerhardt 1653 – (1607-1676)
Melodie: bekannteste Vertonung von Johann Sebastian Bach 1736 – (1685–1750)

Hier die vollständigen Strophen von Paul Gerhardt:

1.
Ich steh an deiner Krippen hier
O Jesulein mein Leben /
Ich stehe / bring und schencke dir
Was du mir hast gegäben.
Nim hin / es ist mein Geist und Sinn /
Hertz Seel und Muth / Nim alles hin
Und laß dirs wolgefallen.

2.
Du hast mit deiner Lieb‘ erfüllt
Mein‘ Adern und Geblüthe /
Dein schöner Glantz / dein süsses Bild
Ligt mir stets im Gemüthe /
Und wie mag es auch anders seyn
Wie könt‘ ich dich mein Hertzelein
Aus meinem Hertzen lassen?

3.
Da ich noch nicht geboren war /
Da bist du mir geboren /
Und hast mich dir zu eigen gar
Eh‘ ich dich kant‘ erkohren.
Eh ich durch deine Hand gemacht
Da hat dein Hertze schon bedacht
Wie du mein woltest werden.

4.
Ich lag in tieffer Todes-Nacht
Du wordest meine Sonne /
Die Sonne / die mir zugebracht /
Licht / Leben / Freud und Wonne.
O Sonne / die das werthe Licht
Des Glaubens in mir zugericht /
Wie schön sind deine Straalen!

5.
Ich sehe dich mit Freuden an
Und kan mich nicht satt sehen /
Und weil ich nun nicht weiter kan
So thu ich was geschehen.
O das mein Sinn ein Abgrund wehr /
Und meine Seel / ein weites Meer /
Daß ich dich möchte fassen!

6.
Vergönne mir / o JEsulein /
Daß ich dein Mündlein küsse /
Das Mündlein das den süßsten Wein
Auch Milch und Honig-Flüsse
Weit übertrifft in seiner Krafft /
Es ist voll Labsal / Stärck und Safft
Der Marck und Bein erquicket.

7.
Wann offt mein Hertz im Leibe wein’t
Und keinen Trost kan finden /
Da rufft mirs zu / Ich bin dein Freund
Ein Tilger deiner Sünden /
Was traurest du mein Fleisch und Bein /
Du solst ja guter Dinge seyn /
Ich zahle deine Schulden.

8.
Wer ist der Meister / der allhier
Nach Würdigkeit außstreichet
Die Händlein / so das Kindlein mir
Anlachende zureichet!
Der Schnee ist hell / die Milch ist weiß /
Verlieren doch beyd‘ ihren Preis.
Wenn diese Händlein blicken. |

9.
Wo nehm‘ ich Weißheit und Verstandt
Mit Lobe zu erhöhen /
Die Auglein / die so unverwandt
Nach mir gerichtet stehen!
Der volle Mond ist schön und klar /
Schön ist der güldnen Sternenschaar /
Dieß Auglein sind viel schöner.

10.
O daß doch ein so lieber Stern
Sol in der Krippen liegen!
Vor edle Kinder grosser Herrn
Gehören güldne Wiegen.
Ach Heu und Stroh ist viel zu schlecht /
Sammt / Seyd‘ und Purpur wären recht
Dich Kindlein drauf zulegen.

11.
Nehmt weg das Stroh / nehmt weg das Heu /
Ich wil mir Blumen holen /
Das meines Heylands Lager sey
Auff Rosen und Violen /
Mit Tulpen / Nelcken / Roßmarien
Aus frischen Gärten / wil ich Jhn
Von oben her bestreuen.

12.
Zur Seiten wil ich hier und dar
Viel weisse Lilgen stecken /
Die sollen seiner Aeuglein Paar
Jm Schlaffe sanfft bedecken.
Doch lieb’t vieleicht das dürre Gras
Dir Kindlein mehr / als alles das
Was ich hier nenn‘ und dencke.

13.
Du fragest nicht nach Lust der Welt /
Noch nach des Leibes-Freuden /
Du hast dich bey uns eingestellt
An unsre Statt zu leiden /
Suchst meiner Seelen Trost und Freud
Durch allerhand Beschwerlichkeit /
Das wil ich dir nicht wehren.

14.
Eins aber / hof‘ ich / wirst du mir /
Mein Heyland / nicht versagen /
Daß ich dich möge für und für
Jn / bey / und an mir tragen /
So laß mich doch dein Kripplein seyn /
Komm / komm und lege bey mir ein
Dich / und all deine Freuden.

15.
Zwar solt‘ ich dencken / wie gering
Ich dich bewirten werde /
Du bist der Schöpffer aller Ding /
Ich bin nur Staub und Erde /
Doch bist du so ein lieber Gast
Daß du noch nie verschmähet hast
Den / der dich gerne siehet.

Ein ausführlicher Text zur Entstehungsgeschichte vom Forschungsprojekt des Deutschen Volksliedarchivs:
Michael Fischer: Ich steh an deiner Krippen hier (2007). In: Populäre und traditionelle Lieder. Historisch-kritisches Liederlexikon.
http://www.liederlexikon.de/lieder/ich_steh_an_deiner_krippen_hier/

Paul Gerhardts Lied „Ich steh an deiner Krippen hier“ gehört zu den populärsten Weihnachtsliedern der Gegenwart. Geschaffen wurde es im 17. Jahrhundert als weihnachtliches Andachts- und Anbetungslied: Ausgangspunkt der Betrachtung ist das Kind in der Krippe, wobei die Beziehung zwischen dem Liedsänger und dem neugeborenen Gottessohn in einer mystisch gefärbten, hochemotionalen Sprache zum Ausdruck gebracht wird.

I. Autor des Liedes ist der Theologe und Lieddichter Paul Gerhardt (1607–1676). Kirchengeschichtlich gehört Gerhardt der lutherischen Orthodoxie an. Diese interessierte sich jedoch nicht nur für die reine Lehre, sondern auch für Fragen der Frömmigkeit. Dabei rückte das Glaubenssubjekt in den Vordergrund. Die sogenannten „Ich“-Lieder (im Gegensatz zu den reformatorischen „Wir“-Liedern) legen davon Zeugnis ab. Zugleich wurden spätmittelalterliche Traditionen weitergeführt, beispielsweise die Rede vom „mystischen Kuss“ (Strophe 6). Eingebettet bleibt diese verinnerlichte Devotionsform in die herkömmliche lutherische Soteriologie: Christus wurde geboren, um „An unsre Statt zu leiden“ (Strophe 13) und um die Schuld der Menschen zu tilgen (Strophe 7).

II. Gerhardts Weihnachtslied wurde 1653 in das musikalische Andachtsbuch „Praxis Pietatis Melica“ von Johann Crüger aufgenommen. Dort ist es der Weise „Nun freut euch, lieben Christen gmein“ zugeordnet, die in der Forschung Martin Luther (1483–1546) zugeschrieben wird. Crügers Nachfolger an der Berliner Nikolaikirche, Johann Georg Ebeling (1637–1676), vertonte den Text vierstimmig im Rahmen der Sammlung „Pauli Gerhardi Geistliche Andachten“ (Berlin 1667), der ersten „Gesamtausgabe“ von Gerhardts Liedern (Edition A). Allerdings hat die Melodie von Ebeling kaum Verbreitung gefunden. Mit anderen, teilweise ariosen Melodien wurde das Lied in einer Reihe bedeutsamer evangelischer Liederbücher abgedruckt, etwa in Freylinghausens „Geist-reichem Gesang-Buch“ (Halle 1704ff.). Bemerkenswert ist, dass das Lied zunächst im Bereich der privaten Andacht beheimatet war und erst allmählich in offizielle Kirchengesangbücher und damit in die kirchliche Liturgie integriert wurde. Als prominentes Beispiel ist das Gesangbuch „Geistliche und Liebliche Lieder“ (Berlin 1709ff.) von Johann Porst anzuführen, das vom beginnenden 18. bis zu Anfang des 20. Jahrhunderts in ca. 90 Auflagen und Nachdrucken das Lied verbreitete (mit der Melodiezuweisung „Nun freut euch, lieben Christen gmein“).

III. Neue theologische Akzente wurden im 18. Jahrhundert durch die siebenstrophige Bearbeitung von Nikolaus Ludwig Graf von Zinzendorf (1700–1760) gesetzt (Edition B). Zinzendorf drängt die mystisch geprägten Motive zurück und stellt gleichsam neben die Krippe das Kreuz. Dieser in Gerhardts Dichtung durchaus schon angelegte Aspekt wird durch Zinzendorfs Liedfassung für die Herrnhuter Brüdergemeine verstärkt: Entscheidend bei der geistlichen Betrachtung des göttlichen Kindes ist der Zusammenhang zwischen Inkarnation und Erlösung.

IV. Für das 1736 in Leipzig herausgekommene „Musicalische Gesang-Buch“ (nach dem Herausgeber „Schemelli-Gesangbuch“ genannt) hat Johann Sebastian Bach zu Gerhardts Text eine Aria in c-moll mit beziffertem Generalbass komponiert (Edition C). Diese Vertonung beförderte im 20. Jahrhundert die bildungsbürgerlich-kulturchristliche Rezeption des Liedes auch außerhalb der Liturgie. Im 18. Jahrhundert bleibt die Melodie jedoch singulär. Kulturgeschichtlich bedeutsam ist darüber hinaus die Integration der ersten Strophe in den sechsten Teil des Weihnachtsoratoriums BWV 248 (hier wieder zur Melodie „Nun freut euch, lieben Christen gmein“): Im dem Choral vorangehenden Rezitativ wird von den Gaben der drei Weisen aus dem Morgenland berichtet; in analoger Weise bringt dann der Chor als Sinnbild der Gemeinde seine – von Gott geschenkten – Gaben dar.

V. Im 20. Jahrhundert wird das Lied im evangelischen Bereich entweder zur Melodie aus dem Schemelli-Gesangbuch (Evangelisches Gesangbuch 1993) oder zu „Nun freut euch, lieben Christen gmein“ gesungen. Der Text musste sich dabei zum Teil umfassende Kürzungen gefallen lassen. Die katholische Rezeption des Liedes beginnt erst um 1950. Fünfundzwanzig Jahre später wird das Lied ins Einheitsgesangbuch „Gotteslob“ aufgenommen, wiederum zur Melodie von „Nun freut euch, lieben Christen gmein“. Wie in der evangelischen Kirche wurde das Lied stark gekürzt, hier sogar auf nur vier Strophen (Edition D).

MICHAEL FISCHER
(Juni 2005 / Februar 2007)

Literatur

  • Christa Reich: Ich steh an deiner Krippen hier. In: Geistliches Wunderhorn. Große deutsche Kirchenlieder. Hrsg. und erläutert von Hansjakob Becker u.a. München 2001, S. 249–261.
  • Christian Bunners (Peter Ernst Bernoulli): Ich steh an deiner Krippe hier. In: Ökumenischer Liederkommentar zum Katholischen, Reformierten und Christkatholischen Gesangbuch der Schweiz. Basel, Zürich 2001 (Lief. 1), o. S. [4 Seiten].
  • Gerhard Hahn: Ich steh an deiner Krippen hier. In: Christian Möller (Hrsg.): Ich singe Dir mit Herz und Mund. Liedauslegungen. Liedmeditationen. Liedpredigten. Ein Arbeitsbuch zum Evangelischen Gesangbuch. Stuttgart 1997, S. 66–70.
  • Ich steh an deiner Krippen hier. In: Handbuch zum Evangelischen Kirchengesangbuch. Bd. III,1: Liederkunde. Erster Teil. Göttingen 1970, S. 193–195 (Nr. 28).

Editionen und Referenzwerke

  • Zahn 1890, Bd. 3, S. 146–148 (Nr. 4659–4666).
  • Fischer 1878, S. 347.

Quellenübersicht

  • Ungedruckte Quellen: —
  • Gedruckte Quellen: häufig in Gebrauchsliederbüchern, sehr häufig in Kirchengesangbüchern, einige sonstige Rezeptionsbelege
  • Bildquellen: —
  • Tondokumente: sehr viele Tonaufnahmen (über 200)

Berücksichtigt werden hier primär Quellen, die im Deutschen Volksliedarchiv (DVA) erschlossen sind. Darüber hinaus wurden auch die Bestände des Gesangbucharchivs Mainz sowie (hinsichtlich der Tonträger) des Deutschen Musikarchivs Berlin miteinbezogen.

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