Kommt ein Vogel geflogen

Kommt ein Vogel geflogen,
setzt sich nieder auf mein´ Fuß,
hat ein Zettel im Schnabel,
von der Mutter ein´ Gruß.

Ach, so fern ist die Heimat,
und so fremd bin ich hier;
und es fragt hier kein Bruder,
keine Schwester nach mir.

Kinderlieder-CD zum Mitsingen

Kinderlieder – Album 1
Wiebke Hoogklimmer – Altstimme

Hab mich allweil vertröstet
auf die Sommerzeit;
und der Sommer ist kommen,
und ich bin noch so weit.

Lieber Vogel, flieg‘ weiter,
nimm ein‘ Gruß mit und ein‘ Kuss,
denn ich kann dich nicht begleiten,
weil ich hier bleiben muß.

(In manchen Liederbüchern steht nur die 1. und 4. Strophe)

Text: Karl von Holtei 1824 – (1798-1880) nach einem österreichischen Lied
Melodie: anonym

In vielen Liederbüchern steht irrtümlich nachfolgende Angabe. Die ausführliche Entstehungsgeschichte finden Sie unten.

Text: Adolf Bäuerle 1822 – (1786-1859) (aus seiner Wiener Zauberoper „Aline“)
Melodie: Wenzel Müller 1822 – (1767-1835)

Ein ausführlicher Text zur Entstehungsgeschichte vom Forschungsprojekt des Deutschen Volksliedarchivs:
Tobias Widmaier: Kommt ein Vogel geflogen (2010). In: Populäre und traditionelle Lieder. Historisch-kritisches Liederlexikon.
http://www.liederlexikon.de/lieder/kommt_ein_vogel_geflogen/

Das Lied „Kommt ein Vogel geflogen“ ist erstmals 1824 in Karl von Holteis Liederposse „Die Wiener in Berlin“ belegt. Offensichtlich griff Holtei hier ein damals schon existierendes österreichisches Lied auf, das seinerseits einige Schnaderhüpfel zu einer Strophenfolge verknüpft hatte. Im Anschluss an seine Verwendung als Bühnenlied erreichte „Kommt ein Vogel geflogen“ große und anhaltende Popularität. Durch textliche Modifikationen wurde „Kommt ein Vogel geflogen“ im 20. Jahrhundert zum Kinderlied.

I. Erstmals zu belegen ist „Kommt ein Vogel geflogen“ als Bühnenlied: In der 1824 in Berlin uraufgeführten und danach auch andernorts erfolgreichen Liederposse „Die Wiener in Berlin“ des Schauspielers und Schriftstellers Karl von Holtei (1798–1880) fordert eine der Figuren, ein in Berlin lebender Wiener, seinen Sohn auf, „das Lied’l, was die seelige Frau Muder immer g’sungen hat, – vom Zetterl im Gosch’l“ zu singen, und sogleich stimmen beide „Kommt a Vogerl geflogen“ an. Das in „Die Wiener in Berlin“ mit der heute noch geläufigen Melodie präsentierte Lied (Edition B) dürfte Holtei anlässlich eines Aufenthaltes in Wien kennengelernt haben; seine mögliche Vorlage ist jedoch nicht überliefert (vgl. II.). Der Umstand, dass Holtei für „Die Wiener in Berlin“ zudem zwei Gesangsnummern aus der seinerzeit in Wien gefeierten Zauberposse „Aline“ (Text: Adolf Bäuerle; Musik: Wenzel Müller; UA 1822) übernahm („Was macht denn der Prater“ und „War’s vielleicht um Eins“), führte zur irrtümlichen Annahme, auch „Kommt ein Vogel geflogen“ stamme aus „Aline“. Obwohl wissenschaftlich längst widerlegt (s. Otto Erich Deutsch 1958), hält sich diese falsche Angabe zur Liedherkunft hartnäckig.

II. In Holteis Liederposse umfasst „Kommt a Vogerl geflogen“ sechs Strophen (Edition B); die ersten vier sowie die sechste sind einem jungen Älpler in den Mund gelegt, der (vermutlich arbeitsbedingt) „in der Fremd'“ weilt; dort überbringt ihm „a Vogerl“ einen Gruß seines „Diarndls“ daheim. Den imaginierten Liebesboten schickt er mit einem Gruß und einem Kuss zu ihr zurück. Aus dem Rahmen fällt die von Holtei hinzugedichtete fünfte Strophe des Bühnenliedes, die unmittelbar auf die Handlung der Liederposse Bezug nimmt („In der Fremd‘ seyn d’Wiena / Und d’Wiena seyn harb, / Machen damische Mienen, / Weil’s Muetterli starb“). Dass es von der Mutter im Stück heißt, sie habe das Lied „immer g’sungen“, lässt sich als Hinweis Holteis auf den realen Umstand deuten, dass „Kommt a Vogerl geflogen“ in Wien schon vor 1824 bekannt war, doch ist dies quellenmäßig bislang nicht belegt. Bereits 1807 finden sich in einem Artikel über die „Schnodahaggen“ im Tiroler Unterinntal von Johannes Strolz allerdings zwei von ihm dort aufgezeichnete Vierzeiler „erotischen Inhaltes“ (darunter fasste er Schnaderhüpfel, die im weitesten Sinne eine Paarbeziehung thematisierten), die – bis auf die Dialektfärbung – vom Text her den ersten beiden Strophen von „Kommt a Vogerl geflogen“ entsprechen (Edition A). Wie der Prozess hin zu dem mehrstrophigen Lied verlief, das Holtei schließlich populär machte, ist unklar.

III. Von 1824 an verbreitete sich das Lied „Kommt ein Vogel geflogen“ rasch im gesamten deutschsprachigen Raum. Unter den Tisch fiel dabei zunächst die fünfte Strophe von Holteis Bühnenlied, die nur im Kontext der Liederposse Sinn machte. Häufig entfiel zudem die zweite Strophe, in der sich der Protagonist des Liedes als Kraftmeier präsentiert, der mit „Büchserl“ und Schlagring umzugehen weiß. Die aus „Die Wiener in Berlin“ bekannte Melodie wurde nicht durchgehend verwendet. So wies das „Liederbuch für deutsche Künstler“ (Berlin 1833) dem hier in pseudo-österreichischem Tonfall abgedruckten Lied „Chimmt a Vogerl geflogen“ die Weise von „Und die Würzburger Glöckli“ zu, die sich durch einen den Strophen angehängten Jodler auszeichnete (Edition C). Der Hang zu „Volksliedern“ aus dem Alpenraum – die zu einem beträchtlichen Teil Authentizität nur fingierten – erklärt die Aufnahme von „Kommt/Chimmt a Vogerl geflogen“ in viele Gebrauchs- und Gesellschaftsliederbücher des 19. Jahrhunderts (z. B. Allgemeines Deutsches Commersbuch, Jubiläums-Ausgabe 1882). Das Lied erlangte auf diesem Weg enorme Popularität und wurde in den Volkslied-Sammelaktionen des späten 19. und frühen 20. Jahrhunderts relativ häufig und in allen Regionen Deutschlands aus „mündlicher Überlieferung“ aufgezeichnet. Auch in privat angelegten handschriftlichen Liederbüchern dieser Zeit findet es sich (Edition D).

IV. Wie so viele Volkslieder wurde auch „Kommt ein Vogel geflogen“ kindgerecht überarbeitet (d. h. von moralisch bedenklichen Stellen bewusst gesäubert). Im vorliegenden Fall ersetzte man das „Diarndl“, mit dem Grüße und Küsse mittels eines gefiederten Boten ausgetauscht werden, durch die Mutter; einher ging die Einrichtung zum Kinderlied mit einer Strophenkürzung und der Tilgung alles Mundartlichen, wie dies ein früher entsprechender Beleg im „Badischen Liederbuch für Schule und Haus“ (1911) zeigt (Edition E). Die kindertümliche Fassung von „Kommt ein Vogel geflogen“ ist bis in die Gegenwart populär geblieben, doch auch in der traditionellen Form wurde das Lied im 20. Jahrhundert durch Liederbücher verbreitet und gesungen. Dementsprechend häufig ist das Lied parodiert worden. 1920 etwa veröffentlichte die Zeitschrift „Kladderadatsch“ eine aktualitätsbezogene, den unversöhnlichen Geist nach dem Ersten Weltkrieg spiegelnde Umdichtung, die die Regelung aufs Korn nahm, dass im Postverkehr in die ehedem preußischen, nun zu Polen gehörenden Gebiete nur polnische Ortsnamen erlaubt waren (Edition F). Das Lied blieb auch in der Folge ein beliebter Anknüpfungspunkt für Parodien. Aus dem Jahr 1977 ist eine Umtextierung zum studentischen Protestlied überliefert (Edition G). Auch in musikalischer Hinsicht war das Lied ein Objekt scherzhafter Verfremdung, wie das Klavierstück „Ein deutsches Volkslied ‚’s kommt ein Vogel geflogen‘ im Style älterer und neuerer Meister“ (1885) von Siegfried Ochs (1858–1929) zeigt. Heute ist dies die bekannteste Komposition des seinerzeit prominenten Berliner Chorleiters; sie wurde bereits im ausgehenden 19. Jahrhundert für Orchester bearbeitet und findet sich in dieser Fassung bis in die Gegenwart auf Tonträgern.

TOBIAS WIDMAIER
Quellenrecherche: JOHANNA ZIEMANN
(Dezember 2010)Literatur

  • Otto Erich Deutsch: „Kommt a Vogerl geflogen“. Woher und wohin? In: Österreichische Musikzeitschrift 13 (1958), S. 253–257.
  • Erich Seemann: „Kommt a Vogerl geflogen“ als slawischer Kinderreigen. In: Jahrbuch für Volksliedforschung 8 (1951), S. 224–228.

Editionen und Referenzwerke

Quellenübersicht

  • Ungedruckte Quellen: sehr viele Aufzeichnungen aus mündlicher Überlieferung (über 100)
  • Gedruckte Quellen: häufig auf Flugschriften, überaus häufig in Gebrauchsliederbüchern
  • Bild-Quellen: öfters auf Liedpostkarten
  • Tondokumente: viele Tonträger

Berücksichtigt werden hier primär Quellen, die im Deutschen Volksliedarchiv (DVA) erschlossen sind. Hinsichtlich der Tonträger wurden auch die Bestände des Deutschen Musikarchivs (Berlin) miteinbezogen.

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