Muss i denn, muß i denn zum Städele naus, Städele naus,
und du, mein Schatz, bleibst hier.
Wenn i komm, wenn i komm, wenn i wiedrum komm, wiedrum komm,
kehr i ein, mein Schatz, bei dir.
Kann i gleich net allweil bei dir sein,
han i doch mein Freud an dir;
wenn i komm, wenn i komm, wenn i wiedrum komm, wiedrum komm,
kehr i ein, mein Schatz, bei dir.
Kinderlieder – Album 1
Wiebke Hoogklimmer – Altstimme
Wie du weinst, wie du weinst, daß i wandere muß, wandere muß,
wie wenn d’Lieb jetzt wär vorbei!
Sind au drauß, sind au drauß der Mädele viel, Mädele viel,
lieber Schatz, i bleib dir treu!
Denk du net, wenn i a andre sieh,
no sei mein Lieb vorbei;
sind au drauß, sind au drauß der Mädele viel, Mädele viel,
lieber Schatz, i bleib dir treu.
Übers Jahr, übers Jahr, wenn mer Träubele schneidt, Träubele schneidt,
stell i hier mi wiedrum ein;
bin i dann, bin i dann dei Schätzele noch, Schätzele noch,
so soll die Hochzeit sein.
Übers Jahr, do ist mei Zeit vorbei,
do ghör i mein und dein:
bin i dann, bin i dann dei Schätzele noch, Schätzele noch,
so soll die Hochzeit sein.
Text: 1. Strophe wahrscheinlich aus Schwaben überliefert, die 2. und 3. Strophe verfaßte 1824 der mit Silcher befreundete Stuttgarter Gelegenheitsdichter Heinrich Wagner (1783–1863)
Melodie: Friedrich Silcher 1827 – (1789-1860) unter Verwendung einer überlieferten Melodie
Ein ausführlicher Text zur Entstehungsgeschichte vom Forschungsprojekt des Deutschen Volksliedarchivs:
Tobias Widmaier: Muss i denn, muss i denn zum Städtele naus (2010). In: Populäre und traditionelle Lieder. Historisch-kritisches Liederlexikon.
http://www.liederlexikon.de/lieder/muss_i_denn/
Das Abschiedslied „Muss i denn, muss i denn zum Städtele naus“ wurde von Friedrich Silcher geschaffen und 1827 erstmals publiziert. Dabei griff Silcher auf eine traditionelle Melodie zurück und integrierte zwei von Heinrich Wagner neu verfasste Strophen. Als Soldatenlied, später auch als Wanderlied fand „Muss i denn…“ große Verbreitung und wurde schon im 19. Jahrhundert über die Grenzen Deutschlands hinaus rezipiert. Die internationale Bekanntheit des Liedes nahm mit Elvis Presleys Adaption (1960) nochmals zu.
I. Das Lied „Muss i denn, muss i denn zum Städtele naus“ ist 1827 in Friedrich Silchers zweitem Heft der „Volkslieder, gesammelt und für vier Männerstimmen gesetzt“ (op. 8, Nr. 12) erstmals erschienen (Edition A). Silcher übernahm dabei die Melodie eines traditionellen Liedes, möglicherweise auch den Text der ersten Strophe. Die zweite und dritte Strophe verfasste 1824 der mit Silcher befreundete Stuttgarter Gelegenheitsdichter Heinrich Wagner (1783–1863); er veröffentlichte den in schwäbischer Mundart gehaltenen Liedtext mit der anonymen Eingangsstrophe 1833 im vierten Band seiner Sammlung „Stech-Palmen. Satyrisches und Lyrisches aus Süd-Deutschland“ (Edition B). In Silchers Liedpublikationen wird die Mitwirkung eines Textautors anfänglich hingegen verschleiert – in der Ausgabe für Männerchor (Edition A) ebenso wie in der für Solostimme von 1835 (Edition C) – und damit suggeriert, im Fall von „Muss i denn, muss i denn zum Städtele naus“ handele es sich um ein authentisches „Volkslied“.
II. Silchers Vorlage zu „Muss i denn, muss i denn zum Städtele naus“ ist nicht überliefert. Übernommen hat der Komponist zumindest die Liedweise: Ludwig Uhland gegenüber bezeichnete er sie als „altwürttembergische Melodie“ (August Bopp 1916); verschiedentlich findet sich der Hinweis, sie stamme aus dem Remstal (u. a. Erk/Böhme 1894). Der zu dieser Melodie ursprünglich gesungene Text ist nicht bekannt. Vermutlich ist auch die erste Strophe von „Muss i denn, muss i denn zum Städtele naus“ traditionellen Ursprungs (vgl. Scherer 1863, Holder 1892). Kritisch zu sehen ist allerdings die angeblich „ältere Form“ des Liedes, die Franz Magnus Böhme im „Deutschen Liederhort“ präsentiert („Muß ich denn, muß ich denn zu dem Dörflein hinaus“; Erk/Böhme 1894, Nr. 785b). Der Beleg geht auf Erk/Irmers „Die deutschen Volkslieder mit ihren Singweisen“ (1839) zurück. Das Lied ist dort mit dem Echtheitssiegel „Mündlich, aus der Umgegend von Frankfurt a. M.“ versehen. Ein Vergleich mit der zugrunde liegenden Einsendung zeigt jedoch, dass Ludwig Erk letztere stark bearbeitet und damit ein Vorläuferlied von „Muss i denn, muss i denn zum Städtele naus“ erst konstruiert hat (Edition D).
III. Inhalt des von Silcher „Abschied“, von Wagner „Der wandernde Liebhaber“ betitelten Liedes sind die Abschiedsworte eines jungen Mannes, der den Ort, an dem sein „Schatz“ lebt, verlassen muss. Er verspricht dem Mädchen Treue und zudem, es zu heiraten, wenn er „übers Jahr“ zurückkomme. Schon vor Mitte des 19. Jahrhunderts wurde das Lied in eine Reihe von Gebrauchsliederbüchern aufgenommen. 1892 bezeichnete August Holder „Muss i denn…“ als „das beste, wirksamste und beliebteste Volkslied des schwäbischen Stammes. Auf Flügeln des Gesanges hat es sich längst über den ganzen Erdball verbreitet“. Wie frühzeitig die internationale Rezeption einsetzte, zeigt z. B. die englische Übersetzung („Must I, then? must I, then? from the town must I, then?“) von Henry William Dulcken aus dem Jahr 1856 (Edition F).
IV. Die Auffassung, das lyrische Ich des Liedes sei ein eingezogener Soldat, ist bis zum Ersten Weltkrieg dominant. Das „tiefgemüthliche Lied vom Recrutenabschied“ (Pröhle 1863) wurde im deutsch-dänischen Krieg 1848 um eine vierte Strophe erweitert („Adje, adje, mein lieber Schatz, / in Schleswig muß ich sein“); allerdings ist es in dieser Form nur in einigen Liedflugschriften belegt (Edition E). Der Abschied eines (oder mehrerer) Soldaten ist im frühen 20. Jahrhundert ein häufiges Bildmotiv von Liedpostkarten mit Strophen oder Versen aus „Muss i denn…“ (Abb. 1). In einer Sammlung von Soldatenliedern des Ersten Weltkriegs heißt es bezüglich „Muss i denn…“: „Von der Militärmusik überall zum Ausmarsch gespielt; deshalb wohl auch in so vielen nichtschwäbischen Truppenteilen (mit 1 Vers) beliebt“ (Schuhmacher 1928). In dem Protagonisten des Liedes wurde häufig auch ein Wanderbursche gesehen. Als Wanderlied fand „Muss i denn, muss i denn zum Städtele naus“ in vielen Liederbüchern des Wandervogel und der Jugendbewegung Aufnahme, beispielsweise 1914 im „Liederbuch des Jüdischen Wanderbundes Blau Weiss“ (Edition G). Bis in die Gegenwart gehört „Muss i denn…“ in Deutschland zu den meist publizierten traditionellen Liedern.
V. Eine besondere Form des Liedgebrauchs ist für die Jahre 1933–1945 dokumentiert. Wiederholt wurde dem Lied „Muss i denn, muss i denn zum Städtele naus“ eine Rolle bei der Verhöhnung von NS-Opfern zugewiesen. So titelte das „Rastatter Tageblatt“ am 29. Mai 1933 zur Überstellung von acht Kommunisten aus dem örtlichen Bezirksgefängnis in das Lager Heuberg: „Muß i denn zum Städt’le hinaus!“. In Offenburg waren die nach der Pogromnacht 1938 nach Dachau transportierten Juden auf dem Weg zum Bahnhof gehalten, das Lied mit der Abwandlung „Wenn i komm, wenn i komm, wenn i nie wieder komm“ zu singen (Martin Ruch 2008). Von einer Judendeportation 1942 aus Würzburg haben sich Fotos der dortigen Gestapo erhalten, die für die Akten mit zynischen Bildlegenden versehen wurden: „Auszug der Kinder Israels aus dem schönen Würzburg! […] … muß i denn, muß i denn zum Städtele hinaus …“ (Schultheis/Wahler 1988). In seiner auf eigenen Erlebnissen beruhenden Erzählung „Der siebente Brunnen“ (1971) berichtet Fred Wander, dass im Außenlager Crawinkel des KZ Buchenwald Anfang 1945 eine Häftlingskapelle die Ausmärsche zu Arbeitseinsätzen begleitete, dazu „bliesen sie uns den Takt: Muss i denn, muss i denn zum Städtele hinaus.„
VI. Eine gänzlich neue Wendung nahm die Geschichte des Liedes nach dem Zweiten Weltkrieg: Im Film „G. I. Blues“ (1960) singt Elvis Presley (in der Rolle eines in Deutschland stationierten Soldaten) mit „Wooden Heart“ eine auf Melodie und einige Verse zurückgreifende Adaption von „Muss i denn, muss i denn zum Städtele naus“ (Edition H). Während Elvis selbst 1961 mit dem Titel Platz 1 der britischen Single-Hitparade erreichte, gelang dies im gleichen Jahr Joe Dowell mit einer Coverversion in den USA und Tonio Areta mit einer Übersetzung in Spanien („Corazón de Madera“). Neben Elvis machte in Deutschland Gus Backus den Filmsong populär (Abb. 2). Seit den 1960er Jahren haben viele deutsche Schlagersänger „Muss i denn…“ eingespielt und so auch im Bereich volkstümlicher Unterhaltungsindustrie verankert (u. a. Roy Black, Freddy Breck, Karel Gott, Heino, Andrea Jürgens, Vicky Leandros, Peggy March, Tony Marshall, Mireille Mathieu, Nana Mouskouri, Freddy Quinn). Dass „Muss i denn…“ heute zu den international bekanntesten deutschen „Volksliedern“ gehört, ist zweifellos auch auf den enormen Popularitätsschub im Fahrwasser von Elvis Presley zurückzuführen. Ein japanisches Liederbuch zeigt, dass man dabei teilweise bestrebt ist, auch den fremdsprachigen Originaltext zu meistern (Abb. 3).
TOBIAS WIDMAIER
(Januar 2010)
Literatur
- Tobias Widmaier: Von Silcher zu Elvis. Metamorphosen eines schwäbischen „Volksliedes“. In: Vom Minnesang zur Popakademie. Musikkultur in Baden-Württemberg. Katalog zur Großen Landesaustellung Baden-Württemberg 2010, hrsg. vom Badischen Landesmuseum Karlsruhe. Karlsruhe 2010, S. 347–350
- August Holder: „Muss i denn, muss i denn zum Städtele naus.“ Ein schwäbischer Beitrag zur Naturgeschichte der Volksliederdichtung. In: Alemannia 19 (1892), S. 144–148 (Zitat S. 147).
- Hoffmann/Prahl 1900, S. 190 (Nr. 897).
- Erk/Böhme 1894, Bd. 2, S. 586f. (Nr. 785a).
- Scherer 1863, S. 16f. (Nr. 8) u. S. 150f. (Anmerkungen).
- Pröhle 1863, S. 67f. (Nr. 46) u. S. 281f. (Anmerkungen).
Weiterführende Literatur
- Martin Ruch: Das Novemberpogrom 1938 und der „Synagogenprozeß“ 1948 in Offenburg. Verfolgte berichten, Täter stehen vor Gericht. Willstätt 2008, S. 26.
- Herbert Schultheis, Isaac E. Wahler: Bilder und Akten der Gestapo Würzburg über die Judendeportationen 1941–1943. Bad Neustadt a. d. Saale 1988, S. 89f.
- Fred Wander: Der siebente Brunnen. Erzählung. Berlin 1971, S. 102.
- Zum Städtele hinaus. In: Der Spiegel, Heft 9/1961 vom 22. Februar 1961, S. 80 (Reaktion deutscher Rundfunkanstalten auf Elvis Presleys „Muss i denn“-Version).
- Wilhelm Schumacher: Leben und Seele unseres Soldatenlieds im Weltkrieg. Frankfurt a. M. 1928 (Deutsche Forschungen 20), S. 221.
- August Bopp: Friedrich Silcher. Stuttgart 1916, S. 70 („altwürttembergische Melodie“).
- Rudolf Krauß: Schwäbische Litteraturgeschichte, Bd. 2. Freiburg i. Br. 1899, S. 162f. (über Heinrich Wagner).
Quellenübersicht
- Ungedruckte Quellen: etliche Aufzeichnungen aus mündlicher Überlieferung
- Gedruckte Quellen: verschiedentlich auf Flugschriften, überaus häufig in Gebrauchsliederbüchern, etliche sonstige Rezeptionsbelege
- Bild-Quellen: sehr oft auf Liedpostkarten
- Tondokumente: sehr viele Tonträger
Berücksichtigt werden hier primär Quellen, die im Deutschen Volksliedarchiv (DVA) erschlossen sind. Hinsichtlich der Tonträger wurden auch die Bestände des Deutschen Musikarchivs (Berlin) miteinbezogen.
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