Nun will der Lenz uns grüßen,
Von Mittag weht es lau;
Aus allen Wiesen sprießen
Die Blumen rot und blau.
Draus wob die braune Heide
Sich ein Gewand gar fein
Und lädt im Festtagskleide
Zum Maientanze ein.
Kinderlieder – Album 1
Wiebke Hoogklimmer – Altstimme
Waldvöglein Lieder singen,
Wie ihr sie nur begehrt,
Drum auf zum frohen Springen,
Die Reis‘ ist Goldes wert!
Hei, unter grünen Linden,
Da leuchten weiße Kleid!
Heija, nun hat uns Kinden
Ein End all Wintersleid.
Text: Karl Ströse 1878 (fälschlicherweise in vielen Liederbüchern dem mittelalterlichen Minnesänger Neidhart von Reuental (erste Hälfte des 13. Jahrhunderts) zugeschrieben).
Melodie: anonym 1886
Ein ausführlicher Text zur Entstehungsgeschichte vom Forschungsprojekt des Deutschen Volksliedarchivs:
Frauke Schmitz-Gropengiesser: Nun will der Lenz uns grüßen (2009). In: Populäre und traditionelle Lieder. Historisch-kritisches Liederlexikon.
http://www.liederlexikon.de/lieder/nun_will_der_lenz_uns_gruessen/
In dem Frühlingslied „Nun will der Lenz uns grüßen“ wird das Erwachen der Natur am Ende des Winters besungen. Autor des Textes ist der Schriftsteller Karl Ströse, der ihn in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts verfasst hat. Als ein vermeintlich aus dem Mittelalter stammendes deutsches „Volkslied“ wurde es im 20. Jahrhundert weit verbreitet und ist auch als Kinderlied sehr beliebt.
I. In nahezu allen Liederbüchern und anderen Quellen zu diesem Lied findet sich der Hinweis, dass „Nun will der Lenz uns grüßen“ auf den mittelalterlichen Minnesänger Neidhart von Reuental (erste Hälfte des 13. Jahrhunderts) – bzw. einen unbekannten „Pseudo-Neidhart“ – zurückgehe. Diese Zuschreibung basiert jedoch nicht auf den historischen Gegebenheiten. Tatsächlich wurde der Liedtext von Karl Ströse verfasst und erschien erstmals in seiner Lyriksammlung „Deutsche Minne aus alter Zeit. Ausgewählte Lieder des Mittelalters, frei übertragen“ (1878). Dabei ist „Nun will der Lenz uns grüßen“ eine von drei „Tanzweisen“, die – wie Ströse angibt – auf Motive von Neidharts Sommerlied „Diu zît ist hie“ zurückgeht (Edition A). Bei Ströses Übertragung handelt es sich nicht um eine wörtliche Übersetzung; vielmehr gibt er den Inhalt von Neidharts Sommerlied sehr frei wieder. Der Autor hat sich primär von Neidharts Sprachstil inspirieren lassen, übernahm bei der Beschreibung des Frühlings lediglich einige Metaphern und Ausdrücke und bediente sich einer stilisierten „altdeutschen“ Sprache. Dass Ströses fiktive Minnelyrik im Zuge ihrer Popularisierung als Lied stets als Dichtung Neidharts von Reuental ausgegeben wurde, war sicher entscheidend dafür, dass dieses Lied breit rezipiert wurde: Denn seine weite Verbreitung im 20. Jahrhundert ging einher mit dem Nimbus des alten, vermeintlich über Jahrhunderte tradierten „Volksliedes“.
II. Inhalt des Liedes „Nun will der Lenz uns grüßen“ ist das Erwachen der Natur nach dem Winter und die Freude der Menschen über den nun kommenden Frühling. Wie auch in Neidharts Lied werden die Schönheiten des Frühlings geschildert sowie die Erleichterung der Menschen nach dem beschwerlichen Winter. Karl Ströse übernahm jedoch nicht den Dialogcharakter von Neidharts Sommerlied, in dem zwei Freundinnen miteinander sprechen, von denen die eine hofft, an der Linde den Geliebten wieder zu treffen, und der anderen (Irmengart) sagt, sie dürfe sie nicht verraten. Bei Neidhart handelt es sich eher um ein Liebesgedicht und nicht um eine reine Naturschilderung. Daher kommt in Ströses deutlich kürzerer Dichtung die Erwähnung von Irmengart etwas unvermittelt, der Inhalt wird nicht ganz schlüssig. Der unterschiedliche Charakter beider Texte wird etwa an der letzten Zeile deutlich: Beziehen sich bei Neidhart die Worte „Ende hat nun die Qual“ auf das lange Warten der jungen Frau auf ihren Geliebten, den sie im Frühling wieder treffen möchte, so meint Ströse mit „End“ allein das Ende des Winters.
III. Um 1884 erschien ein Heft mit drei Liedern für Singstimme und Klavierbegleitung von August Fischer unter dem von der erwähnten Lyriksammlung übernommenen Titel „Deutsche Minne aus alter Zeit“. Dabei handelt es sich um eine Vertonung der „freien Übertragungen“ mittelhochdeutscher Texte Ströses, darunter auch – wiederum als „Tanzweise“ überschrieben – „Nun will der Lenz uns grüßen“ (Edition B). Bekannt wurde in der Folge aber nicht die Komposition Fischers, sondern die Vertonung eines anonymen Verfassers, die sich erstmals in der 1886 in Zürich erschienenen „Sammlung von Volksgesängen für den Männerchor“ veröffentlich findet. Der Neidhart von Reuental zugeschriebene Text Ströses ist für diese Fassung verkürzt worden (Edition C).
IV. Dieser neu geschriebene „Volksgesang“ kursierte bis in die Zeit der Jahrhundertwende zunächst als Chorlied. Seit 1915 fand es auch in Liederbüchern des Wandervogel Aufnahme. Die Jugendbewegung war der Auslöser für die weitere Verbreitung von „Nun will der Lenz uns grüßen“ ab Mitte der 1920er Jahre (Edition D). Von da an erfährt das Lied als vermeintlich uraltes deutsches Volkslied eine breite Rezeption. Bis zum Ende des Zweiten Weltkriegs ist es häufig in Jugend-, Verbands- und Schulliederbüchern vertreten. Nach 1945 nimmt die Verbreitung noch zu: „Nun will der Lenz uns grüßen“ gehört zu den beliebtesten Liedern in Wander-, Jugend- und eigens als solchen bezeichneten Volksliederbüchern. Das Liedincipit erscheint schließlich hin und wieder als Titel von Liederbüchern, z. B. „Nun will der Lenz uns grüßen: Zur Gestaltung von Festen und Feiern im Frühling“ (Limburg 1989) oder „Nun will der Lenz uns grüßen. 20 Volkslieder mit Singstimme und Bearbeitung für 2 Gitarren“ (Landsberg, Halle 2005). Mit seiner schönen Beschreibung der Natur im Frühling wird das Lied auch gern in Kinderliederbücher aufgenommen (Edition E).
FRAUKE SCHMITZ-GROPENGIESSER
(Februar 2009)
Quellenübersicht
- Ungedruckte Quellen: keine Aufzeichnungen aus mündlicher Überlieferung
- Gedruckte Quellen: sehr häufig in Gebrauchsliederbüchern (nach 1925)
- Bild-Quellen: —
- Tondokumente: viele Tonträger
Berücksichtigt werden hier primär Quellen, die im Deutschen Volksliedarchiv (DVA) erschlossen sind. Hinsichtlich der Tonträger wurden auch die Bestände des Deutschen Musikarchivs (Berlin) miteinbezogen.
© Deutsches Volksliedarchiv
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