Sabinchen war ein Frauenzimmer,
Gar hold und tugendhaft.
Sie diente treu und redlich immer
Bei ihrer Dienstherrschaft.
Da kam aus Treuenbrietzen
Ein junger Mann daher.
Der wollte gern Sabinchen besitzen
Und war ein Schuhmacher.
Sein Geld hat er versoffen
In Schnaps und auch in Bier,
Da kam er zu Sabinchen geloffen
Und wollte welches von ihr.
Sie konnt ihm keines geben,
Da stahl er auf der Stell
Von ihrer guten Dienstherrschaft
Sechs silberne Blechlöffel.
Kinderlieder – Album 1
Wiebke Hoogklimmer – Altstimme
Jedoch nach achtzehn Wochen
Da kam der Diebstahl raus.
Da jagte man mit Schimpf und Schande
Sabinchen aus dem Haus.
Sie rief: „Verfluchter Schuster,
Du rabenschwarzer Hund!“
Da nahm er sein Rasiermesser
Und schnitt ihr ab den Schlund.
Ihr Blut zum Himmel spritzte,
Sabinchen fiel gleich um.
Der böse Schuster aus Treuenbrietzen,
Der stand um ihr herum.
In einem dunklen Loche
bei Wasser und bei Brot,
da hat er endlich eingestanden
die grausige Moritot.
Und die Moral von der Geschichte:
Trau keinem Schuster nicht!
Der Krug, der geht so lange zu Wasser,
Bis daß der Henkel bricht!
Der Henkel ist zerbrochen,
Er ist für immer ab,
Und unser Schuster muß nun sitzen
bis an das kühle Grab!
Text und Melodie: Mitte 19. Jahrhundert. Parodie auf eine Moritat, deren Original 1849 entstand und die aus wesentlich mehr Strophen bestand.
Ein ausführlicher Text zur Entstehungsgeschichte vom Forschungsprojekt des Deutschen Volksliedarchivs:
Tobias Widmaier: Sabinchen war ein Frauenzimmer (2011). In: Populäre und traditionelle Lieder. Historisch-kritisches Liederlexikon.
http://www.liederlexikon.de/lieder/sabinchen_war_ein_frauenzimmer/
Der Text des populären Scherzliedes „Sabinchen war ein Frauenzimmer“ entstand 1849 als literarische Parodie der seinerzeit verbreiteten Mordmoritaten. In gesungener Form ist „Sabinchen war ein Frauenzimmer“ erst seit Ende des 19. Jahrhunderts belegt. Im 20. Jahrhundert fand das Lied zunächst nur vereinzelt, seit den 1950er Jahren dann aber relativ breite Aufnahme in Liederbüchern.
I. Die Erstfassung von „Sabinchen war ein Frauenzimmer“ stammt von einem nicht identifizierten Autor. Sie verballhornt das Genre der Verbrechen und Unglücksfälle aller Art schildernden Moritaten, die um die Mitte des 19. Jahrhunderts noch vielerorts von Bänkelsängern und Drehorgelspielern zu Gehör gebracht wurden. Der Text erschien erstmals 1849 in „Musenklänge aus Deutschlands Leierkasten“, einer Sammlung mit Gedichten „mehr oder weniger aus dem Bereich des höheren Blödsinns“ (Thimme 1935) sowie einer Reihe von Moritatenparodien, die z. T. Ereignisse des Vormärz und der Revolution von 1848 satirisch aufs Korn nahmen (Leute tretet rings heran, Seht da steht der große Hecker). Initiator der „Musenklänge“ war der Leipziger Verleger Georg Wigand, als Herausgeber der Erstausgabe gilt der Schriftsteller Karl Herloßsohn (1804–1849). Die Sammlung erlebte in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts eine Reihe von Wiederveröffentlichungen (16. Auflage 1884), wobei immer wieder Änderungen vorgenommen wurden; durchweg enthalten aber blieb die Moritatenparodie mit dem Titel „Höchst schauderhafte Begebenheit, welche vorigtes Jahr am dreißigsten Februar ist begangen worden“, die von der Ermordung eines Dienstmädchens namens „Sabine“ durch einen Schuster „aus Treuenbrietzen“ berichtet (Edition A). Der anonyme Verfasser übertrieb in seiner auf einen intellektuellen Rezipientenkreis zielenden Travestie den Stil authentischer Bänkelgesänge durch etliche Sprachschnitzer, Ungereimtheiten der Handlung und bewusst holprige Reime. Das unregelmäßige Versmaß deutet darauf, dass das „Ur-Sabinchen“ nicht als Liedtext gedacht war, sondern vergnüglichen Lesestoff bieten sollte, was die „Musenklänge“ durch einige beigefügte Holzschnitte noch unterstreichen. Diese porträtieren die handlungstragenden Figuren auf markante Weise (Abb. 1).
II. Die Urfassung der Moritatenparodie berichtet vom tragischen Schicksal eines Dienstmädchens namens Sabine, eines (wie die Abbildungen in den „Musenklängen“ zeigen) schon ältlichen, durch Arbeit verhärmten „Frauenzimmers“. Sie büßt aus blinder Liebe zu einem jungen, aus Treuenbrietzen zugewanderten Schustergesellen, der vorgibt, sie „besitzen“ zu wollen, ihre Ersparnisse ein, die jener ihr abschwatzt und versäuft. Schließlich kann Sabine die Geldforderungen des Schusters nicht mehr befriedigen und stiehlt ihrer Herrschaft zwei Silberlöffel, worauf man sie „mit Schimpf und Schanden“ entlässt. Die Klagen aber über ihre Gewissensbisse und ihren Herzenskummer sind dem Schuster einerlei, er will „jetzt nichts mehr von ihr wissen“. Als Sabine ihn daraufhin beschimpft („Du böser Pflichtvergessner, Du rabenschwarze Seel!“), ermordet er sie kurzerhand, indem er ihr mit einem Tranchiermesser die Kehle „ab“schneidet. Während sie ihr Leben aushaucht, steht er „um sie herum“ (und schmaucht dabei entspannt sein Pfeifchen, wie auf der entsprechenden Abbildung in den „Musenklängen“ zu sehen ist). Von der Polizei verhaftet und „in Eisenbanden“ gelegt, gesteht der Schuster seine „schwarze Frevelthat“ und wird zuletzt am Galgen erhängt. Das Vorbild der Moritaten, die meist eine moralische Belehrung enthalten, übersteigert das „Ur-Sabinchen“, indem es eine solche gleich doppelt gibt: Schon in der Eingangsstrophe heißt es, Diebstahl bringe „große Schmerzen“ und „nie kein Segen nicht“, in der Schlussstrophe dann, man solle „keine Kehl abschneiden“, denn dies tue „kein Gut ja nicht“. Indizien zufolge, die eine neuere wissenschaftliche Liedstudie präsentiert (Weismann 1993), könnte es sich bei der ursprünglichen Fassung von „Sabinchen war ein Frauenzimmer“ um eine versteckte zeitkritische Satire auf die gescheiterte Revolution von 1848 handeln. Ein solcher (möglicherweise intendierter und zeitnah noch verstandener) politischer Subtext – Weismann deutet Sabine und den Schuster als Personifikationen des Deutschen Volkes bzw. des preußischen Königs Friedrich Wilhelm IV. – spielt wirkungsgeschichtlich allerdings keinerlei Rolle.
III. Ohne die beiden augenzwinkernd mahnenden Rahmenstrophen wurde die Moritatenparodie aus den „Musenklängen“ um 1871/75 als Neuruppiner Bilderbogen veröffentlicht, ein weiteres Zeichen dafür, dass man die „schauderhafte“ Geschichte anfänglich nur als illustrierten Lesestoff rezipierte. Dieser Bilderbogen ist bemerkenswert u. a. insofern, als Sabine hier als dralles Dienstmädchen dargestellt wird, deren im Text beschworene Tugendhaftigkeit die beigefügte Abbildung konterkariert, auf der ihr Dienstherr im Morgenmantel einen Arm um ihre Schultern legt und sie mit seiner freien Hand unterm Kinn fasst (Abb. 2).
IV. Unter dem Titel „Sabinchen! Schaurige Drehorgel-Ballade“ erschien 1895 die früheste ermittelte Vertonung der (mit einigen textlichen Änderungen) aus den „Musenklängen“ übernommenen Moritatenparodie im Berliner Musikverlag Aletter. Wilhelm Aletter (1876–1934), der auch als Komponist unterhaltsamer Musik hervortrat, gab sich im Fall von „Sabinchen!“ nur als Arrangeur aus. Unklar ist, woher die Melodie stammt, die Aletter mit einem Klaviersatz versah (und nach der „Sabinchen war ein Frauenzimmer“ bis heute gesungen wird). Die Verlagsrechte an „Sabinchen!“ verkaufte Aletter in der zweiten Hälfte der 1890er Jahre an den Leipziger Musikverlag Bosworth & Co., der das Lied in seiner Serie „Humoristica“ anbot (Edition B), die heitere Vokalwerke für gesellige Anlässe umfasste (vom Couplet bis zum Männerchor). In Liederbüchern lässt sich „Sabinchen war ein Frauenzimmer“ ab etwa 1910 belegen, zunächst primär in solchen der Wandervogel- und Jugendbewegung (Edition D). In den empirischen Erhebungen des mündlichen Singrepertoires, die das 1914 gegründete Deutsche Volksliedarchiv veranlasste, wurde „Sabinchen war ein Frauenzimmer“ verschiedentlich aufgezeichnet, doch deutet nichts auf eine bereits längere Singtradition. Eine Gewährsperson aus Pommern gab an, das Lied vor dem Ersten Weltkrieg von Bänkelsängern auf dortigen Jahrmärkten gehört zu haben (Edition C). Weitere Kontextinformationen fehlen in den einschlägigen Aufzeichnungen. Die behauptete „aktive Rezeption und Reproduktion“ des Liedes primär im Berufstand weiblicher Dienstboten „über Jahrzehnte hinweg“ (Weismann 1993) lässt sich durch Quellen nicht belegen.
V. Eine breitere Rezeption der Moritatenparodie in Liederbüchern setzte erst in den 1950er Jahren ein. Gepflegt wurde „Sabinchen war ein Frauenzimmer“ nun etwa als Scherzlied in geselligen Runden organisierter und informeller Jugendgruppen. Weismann (1993) meint, dass das Lied „in der Restaurationsperiode“ nach dem Zweiten Weltkrieg „vor allem von weiblichen Jugendgruppen rezipiert und reproduziert wurde“ und hier als „Sozialisationsinstrument zur Verinnerlichung sexueller Verhaltensnormen fungierte“ (Botschaft: Liebesbeziehungen mit „dahergelaufenen“ jungen Männern nehmen ein schlimmes Ende…). Ob diese Beobachtung zutreffend ist oder der Reiz des Liedes nicht vielmehr darin lag, dass mit ihm Tabugrenzen überschritten werden konnten, wäre einer Untersuchung wert. Trotz der Drastik des Lied-Plots wird „Sabinchen war ein Frauenzimmer“ heute weithin als Relikt einer „guten alten Zeit“ verstanden. Der brandenburgische, südlich von Potsdam gelegene Ort Treuenbrietzen schöpft aus dem „Sabinchen“-Lied aktuell einen wesentlichen Teil seiner lokalen Identität: die „Sabinchenstadt“ verfügt über einen „Sabinchenbrunnen“ mit Denkmal und führt jährliche „Sabinchenfeste“ und „Sabinchenfestspiele“ durch. Verschiedentlich wurde die Moritatenparodie von Komponisten aufgegriffen: 1930 schrieb Paul Hindemith die Musik zum Rundfunk-Hörspiel „Sabinchen“ (Text: Robert Seitz) für Sprecher, Sänger und Orchester (in: Sämtliche Werke VIII/2, 2008), 1996/97 schuf Ludger Vollmer (*1961) eine „Taschenoper für Klavier“ mit dem Titel „Sabinchen war ein Frauenzimmer“. Eine politische Parodie des Liedes legte der bayerische Liedermacher Sepp Raith vor: darin heiratet „Sabinchen“ einen Ingenieur des Atomkraftwerks Gundremmingen und stirbt, nachdem sie in die Nähe seines Arbeitsplatzes zieht, alsbald an Strahlenschäden (Edition E).
TOBIAS WIDMAIER
Quellenrecherche: JOHANNA ZIEMANN
(Februar 2011)
Literatur
- Barbara Boock: „Sabinchen war ein Frauenzimmer…“. Ein Lied mit Geschichte. In: Musik und Leben. Freundesgabe für Sabine Giesbrecht zur Emeritierung. Hrsg. von Hartmuth Kinzler. Osnabrück 2003 (Schriftenreihe des Fachbereichs Erziehungs- und Kulturwissenschaften der Universität Osnabrück 18), S. 22–27.
- Anabella Weismann: Die merkwürdige Geschichte vom Schuster und seiner Sabine: Revolutionssatire – Dienstmädchenmoral – „lustiges Lied“. In: Zwischen Aufklärung & Kulturindustrie. Festschrift für Georg Knepler zum 85. Geburtstag, Bd. 3: Musik/Gesellschaft. Hrsg. von Hanns-Werner Heister u. a. Hamburg 1993, S. 119–153 (Zitat zur Rezeption des Liedes bei weiblichen Dienstboten S. 129; Zitat zur Rezeption des Liedes nach dem Zweiten Weltkrieg S. 127).
Weiterführende Literatur
- Adolf Thimme: Georg Wigand und die Musenklänge aus Deutschlands Leierkasten. Bibliophile Bemühungen um literarische Kleinigkeiten. Ein Kommentar zu einer Neuausgabe der Musenklänge. Bad Sachsa 1935 (Göttingische Nebenstunden 12); Zitat S. 6.
Quellenübersicht
- Ungedruckte Quellen: vergleichsweise wenige Aufzeichnungen aus mündlicher Überlieferung
- Gedruckte Quellen: sehr häufig in Gebrauchsliederbüchern (v. a. nach 1950)
- Bild-Quellen: gelegentlich auf Liedpostkarten
- Tondokumente: häufig auf Tonträger
Berücksichtigt werden hier primär Quellen, die im Deutschen Volksliedarchiv (DVA) erschlossen sind. Hinsichtlich der Tonträger wurden auch die Bestände des Deutschen Musikarchivs (Leipzig) miteinbezogen.
© Deutsches Volksliedarchiv
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