Wach auf, meins Herzens Schöne,
Herzallerliebste mein!
Ich hör ein süß Getöne
Von kleinen Waldvöglein,
Die hör ich so lieblich singen,
Ich mein, ich säh des Tages Schein
Vom Orient her dringen.
Ich hör die Hahnen krähen
Und spür den Tag dabei,
Die kühlen Winde wehen,
Die Sternlein leuchten frei.
Singt uns Frau Nachtigalle,
Singt uns ein süße Melodei,
Sie neut den Tag mit Schalle.
Kinderlieder – Album 1
Wiebke Hoogklimmer – Altstimme
Du hast mein Herz umfangen
In treu inbrünstger Lieb,
Ich bin so oft gegangen
Feinslieb nach deiner Zier,
Ob ich dich möcht ersehen,
So würd erfreut das Herz in mir,
Die Wahrheit muß ich g’stehen.
Der Himmel tut sich färben
Aus weißer Farb in blau,
Die Wolken tun sich färben
Aus schwarzer Farb in grau.
Die Morgenröte tut herschleichen,
Wach auf, mein Lieb, und mach mich frei,
Die Nacht will uns entweichen.
Selig ist Tag und Stunde,
Darin du bist gebor’n,
Gott grüßt mir dein rot‘ Munde,
Den ich mir hab erkor’n.
Kann mir kein Liebre werden,
Schau daß mein Lieb nicht sei verlor’n!
Du bist mein Trost auf Erden.
Text: Nürnberg 1547
Melodie: Johann Friedrich Reichardt 1778 – (1752-1814)
Ein ausführlicher Text zur Entstehungsgeschichte vom Forschungsprojekt des Deutschen Volksliedarchivs:
Frauke Schmitz-Gropengiesser: Wach auf, meins Herzens Schöne (2012). In: Populäre und traditionelle Lieder. Historisch-kritisches Liederlexikon.
http://www.liederlexikon.de/lieder/wach_auf_meins_herzens_schoene/
„Wach auf, meins Herzens Schöne“ ist ein im 16. Jahrhundert populäres Liebeslied unbekannter Herkunft. Die Melodie dieses sogenannten Tageliedes fand damals auch für andere weltliche und geistliche Texte Verwendung. Eine Umdichtung von Hans Sachs aus dem Jahr 1525 ist sogar der älteste exakt datierbare Nachweis für dieses Lied. Im 17. und 18. Jahrhundert fand das Tagelied kaum noch Beachtung. Friedrich Nicolai griff es 1778 im Kontext der von Herder entfachten „Volkslied“- Debatten wieder auf und publizierte es mit einer von Johann Friedrich Reichardt neu komponierten Melodie. In dieser Fassung wurde „Wach auf, meins Herzens Schöne“ durch die Jugendbewegung Anfang des 20. Jahrhunderts popularisiert und ist bis heute verbreitet.
I. Der Ursprung des Tageliedes „Wach auf, meins Herzens Schöne / zart aller liebste mein“ lässt sich bisher nicht nachweisen. Es war jedoch spätestens seit Anfang des 16. Jahrhunderts bekannt. Die erste datierte Textquelle, die überliefert ist, stammt zwar erst aus einer 1574 in Nürnberg gedruckten Liedersammlung mit „Bergreihen“ (Edition A), aber die weit frühere Popularität des Liebesliedes lässt sich durch seine Verwendung als Tonangabe zu Kontrafakturen belegen. Bereits im Jahr 1525 veröffentlichte Hans Sachs (1494–1576) seine protestantische Umdichtung „Wach auff meins hertzen schöne / du Christenliche schar“ (Edition B) mit der Angabe „In dem thon / Wach auff meins hertzen schöne“. Die damalige Melodie ist jedoch nur indirekt überliefert: Der protestantische Pfarrer Valentin Triller (1493–1573) verfasste wiederum eine Umdichtung des Textes von Hans Sachs und publizierte sein geistliches Lied „Merck auff merck auff du schöne / du Christliche Gemein“ mit Melodie 1555 in seinem „Schlesisch singebüchlein“ (Edition C).
II. Das Liebeslied „Wach auf, meins Herzens Schöne“ gehört zur Gattung der sogenannten Tagelieder. Ihr inhaltlicher Ausgangspunkt ist der beginnende Tag: Sobald er anbricht, müssen sich Liebende, die sich des Nachts heimlich getroffen haben, wieder trennen. Diese Situation wird auch in „Wach auf, meins Herzens Schöne“ geschildert: als Rede des Mannes an seine Geliebte. Er weckt sie bei Tagesanbruch, schildert, wie die Natur erwacht, es folgen Liebeserklärungen und Abschiedsschmerz. Wie wichtig die Geheimhaltung des Liebesverhältnisses ist, lässt sich an der wiederholten Nennung der „Klaffer“ (Verleumder) erkennen. Die neun Strophen bestehen aus sieben Versen, von denen der sechste Vers jeweils eine Silbe länger ist, wodurch der regelmäßige Rhythmus der Zeilen unterbrochen wird.
III. In der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts erschien der Text von „Wach auf, meins Herzens Schöne“ in zahlreichen Liedflugschriften ( Abb. 1) u. a. in Nürnberg, Augsburg und Magdeburg. In mehreren handschriftlichen Liedersammlungen der Zeit ist „Wach auf, meins Herzens Schöne“ ebenfalls enthalten. Teilweise finden sich unterschiedliche Strophenfolgen und variante Formulierungen. In der Liedersammlung des Freiherrn Friedrich von Reiffenberg (1588) hat das Lied beispielsweise lediglich sechs Strophen. Von der Version der „Bergreihen“ sind nur die Strophen 1–5 sowie die 9. Strophe in leicht abgewandelter Form übernommen (s. Anmerkungen zu Edition A). – Die Beliebtheit des Liedes und seiner Melodie wird darüber hinaus durch verschiedene weltliche sowie geistliche Kontrafakturen deutlich. Den Anfang machte 1525 Hans Sachs mit seiner oben bereits erwähnten protestantischen Umdichtung (Edition B); einige seiner Strophenanfänge lehnen sich deutlich an die Vorlage an. An Sachs wiederum knüpfte das in der Schweiz erschienene geistliche Lied „Wach uf, mins herzen schöni, du christenliche schar“ (Bern 1558) an. Der anonyme Verfasser übernahm die ersten fünf Zeilen des Liedes von Sachs und dichtete drei eigene Verse sowie weitere zwölf Strophen hinzu. In diesem Lied wird Gott um Beistand für die Stadt Bern in ihrem Bemühen gebeten, standhaft für die Reformation einzutreten (s. Tobler 1882). Aufgrund der Strophenlänge (acht statt sieben Verse) dürfte hier nicht die Melodie des Liebesliedes als Grundlage gedient haben. Als weiteres Beispiel für die Verwendung der Weise von „Wach auf, meins Herzens Schöne“ sei hier noch ein 1540 erschienenes Loblied auf eine verstorbene Gräfin genannt, die sich durch ihre Frömmigkeit auszeichnete (Edition D). – Zu Beginn des 17. Jahrhunderts erschien die Tonangabe „Wach auf, meins Herzens Schöne“ nochmals für das geistliche Lied von Hans Sachs in einem evangelischen Gesangbuch („Geistliche Psalmen Hymnen Lieder vnd Gebett“, Nürnberg 1611). Danach geriet es nahezu in Vergessenheit – nur vereinzelte Publikationen des 20. Jahrhundert enthalten noch den Text von Sachs, beispielsweise das „Evangelisch-Lutherische Kirchengesangbuch“ (1992). Auch das tonangebende Liebeslied ist im 17. Jahrhundert bis zum Ende des 18. Jahrhunderts nicht mehr nennenswert rezipiert worden.
IV. Im Jahr 1778 veröffentlichte Friedrich Nicolai das Lied „Wach auf, meins Herzens Schöne“ im zweiten Jahrgang seiner Liedsammlung „Eyn feyner kleyner Almanach“, in der er in parodistischer Weise vermeintlich alte „Volkslieder“ veröffentlichte. Damit wollte der bekannte Berliner Aufklärer die in seinen Augen unreflektierte und übertriebene Begeisterung der damaligen Zeit für „Volkslieder“ als natürlichem, ursprünglichem Ausdruck des Volkes konterkarieren, wie sie von Johann Gottfried Herder oder Gottfried August Bürger vertreten wurde. Der Text des Tageliedes, den der bibliophile Nicolai den 1574 in Nürnberg erschienenen „Bergreihen“ entnommen hatte (s. Edition A), ist im „Kleynen feynen Almanach“ in einer fingierten, überzogen altertümlichen Schreibweise wiedergegeben; die dazu abgedruckte Melodie schuf der Komponist Johann Friedrich Reichardt (1752–1814) eigens für diese Sammlung (Edition F). Der rezeptionsgeschichtliche Witz: Erst durch Nicolais satirisch gemeinten „Almanach“ wurde das Lied „Wach auf, meins Herzens Schöne“ überhaupt wieder breiter bekannt und ist mit der von Reichardt neu komponierten, vielfach für eine Volksweise gehaltenen Melodie bis heute populär geblieben.
V. Nicolais Spott über die frühen „Volkslied“-Apologeten verhinderte nicht, dass spätere Forscher und Publizisten die im „Kleynen feynen Almanach“ präsentierten Lieder für „echte“, teilweise über Jahrhunderte tradierte Schöpfungen des Volkes hielten. 1840 übernahmen beispielsweise August Kretzschmer und Anton Wilhelm von Zuccalmaglio „Wach auf, meins Herzens Schöne“ in der Fassung von Johann Friedrich Reichardt in ihre Sammlung „Deutsche Volkslieder mit ihren Originalweisen“ (Bd. 1, Nr. 286), ohne jedoch den Komponisten zu nennen; zur Herkunft des Liedes heißt es hier nur, es sei „altdeutsch“. Daran anknüpfend schrieb wiederum Johannes Brahms einen Chorsatz „Wach auf, meins Herzens Schöne“, den er 1894 in seinen „Deutschen Volksliedern“ (WoO 33, Heft 3, Nr. 16) veröffentlichte. In Gebrauchsliederbüchern des 19. Jahrhunderts ist das Lied nicht belegt. Schließlich nahm die Wandervogel- und Jugendbewegung das Lied auf; im auflagenstarken Liederbuch „Zupfgeigenhansl“ stand es beispielsweise ab 1912 mit den ersten drei Strophen im Kapitel „Minnedienst“ (Edition G). Davon ausgehend wurde „Wach auf, meins Herzens Schöne“ breit rezipiert, meist jedoch in einer auf drei, gelegentlich auf vier Strophen verkürzten Form. Auch auf zahlreichen Tonträgern ist das Lied vertreten.
FRAUKE SCHMITZ-GROPENGIESSER
(Oktober 2011 / Mai 2012)
Editionen und Referenzwerke
- DKL – Das deutsche Kirchenlied 1993, Abt. III, Bd. 1/1, Nr. A247 u. A247A.
- Erk/Böhme 1893, Bd. 2, S. 603f. (Nr.804).
- Zahn 1890, Bd. 3, S. 37 (Nr. 4327 a, 4327 b).
- Tobler 1882, S. XLV und 179–183.
- Böhme, Altdeutsches Liederbuch 1877, S. 218f. (Nr. 118).
- Wackernagel 1874, Bd. 4, S. 44f. (Nr. 77).
Quellenübersicht
- Ungedruckte Quellen: kaum Aufzeichnungen aus mündlicher Überlieferung, vereinzelt in Liederhandschriften (16. Jahrhundert)
- Gedruckte Quellen: häufig auf Flugschriften (16. Jahrhundert), sehr häufig in Gebrauchsliederbüchern (nur 20. Jahrhundert)
- Bild-Quellen: —
- Tondokumente: sehr viele Tonträger
Berücksichtigt werden hier primär Quellen, die im Deutschen Volksliedarchiv (DVA) erschlossen sind. Hinsichtlich der Tonträger wurden auch die Bestände des Deutschen Musikarchivs (Leipzig) miteinbezogen.
© Deutsches Volksliedarchiv
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