Wenn die bunten Fahnen wehen

Wenn die bunten Fahnen wehen,
Geht die Fahrt wohl übers Meer.
Woll’n wir ferne Lande sehen,
Fällt der Abschied uns nicht schwer.
Leuchtet die Sonne, ziehen die Wolken,
Klingen die Lieder weit übers Meer.

Sonnenschein ist unsre Wonne,
Wie er lacht am lichten Tag!
Doch es geht auch ohne Sonne,
Wenn sie mal nicht scheinen mag.
Blasen die Stürme, brausen die Wellen,
Singen wir mit dem Sturm unser Lied.

Kinderlieder-CD zum Mitsingen

Kinderlieder – Album 1
Wiebke Hoogklimmer – Altstimme

Hei, die wilden Wandervögel
Ziehen wieder durch die Nacht,
Singen ihre alten Lieder,
Daß die Welt vom Schlaf erwacht.
Kommt dann der Morgen, sind sie schon weiter,
Über die Berge, wer weiß wohin.

Wo die blauen Gipfel ragen,
Lockt so mancher steile Pfad.
Immer vorwärts, ohne Zagen,
Bald sind wir dem Ziel genaht!
Schneefelder blinken, schimmern von Ferne her,
Lande versinken im Wolkenmeer.

Text und Melodie: Alfred Zschiesche 1932 – (1908-1992)

Ein ausführlicher Text zur Entstehungsgeschichte vom Forschungsprojekt des Deutschen Volksliedarchivs:
Eckhard John: Wenn die bunten Fahnen wehen (2013). In: Populäre und traditionelle Lieder. Historisch-kritisches Liederlexikon.
http://www.liederlexikon.de/lieder/wenn_die_bunten_fahnen_wehen/

Das Fahrtenlied „Wenn die bunten Fahnen wehen“ ist eines der bekanntesten Lieder aus der deutschen Jugendbewegung. Es wurde von Alfred Zschiesche verfasst und 1933 durch den Nerother Wandervogel veröffentlicht. „Wenn die bunten Fahnen wehen“ erlangte in kurzer Zeit große Popularität und fand schon in den Jahren der NS-Herrschaft weite Verbreitung. In der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts setzte sich diese ungebrochen fort, so dass Zschiesches Lied in den 1970er Jahren zu den bekanntesten deutschen Popularliedern zählte.

I. Der spätere Musikpädagoge, Liedermacher und Lyriker Alfred (Alf) Zschiesche (1908–1992) sah im Dezember 1932 als Student in Wiesbaden den Dokumentarfilm „Iguassu, das Große Wasser“ über die Reise einer Gruppe des Nerother Wandervogel nach Südamerika. Unter dem Eindruck dieses Filmes aus der bündischen Jugendbewegung schrieb Zschiesche das Lied „Wenn die bunten Fahnen wehen“, das – zusammen mit dem Autor – unmittelbar Aufnahme im Kreis des Nerother Wandervogels fand und schon 1933 in dessen Liederbuch veröffentlicht wurde (Edition A).

II. Der Text des Liedes „Wenn die bunten Fahnen wehen“ ist geprägt von Fernweh, Reiselust und Naturbegeisterung. Er atmet gänzlich den Geist der bündischen Jugendbewegung, die es mit ihren „Fahnen“, „Fahrten“ und Liedern hinaus in die Natur zog. Dabei ist die Erlebniswelt, die das Lied anbietet, ebenso simpel wie elementar: Sonne, Wolken, Stürme, Wellen, Berge, Gipfel und Schneefelder blinken, brausen, leuchten und lachen – für alle, die „ferne Lande sehen“ sollen, sei es „übers Meer“ oder auf „steilen Pfaden“. Verortet wird dieses Lebensgefühl in der Jugendbewegung: bei den „wilden Wandervögeln“, die ihre Lieder „schmettern“, damit „die Welt vom Schlaf erwacht“. Sendungs- und Selbstbewußtsein als Boten der Zukunft schwingen dabei mit. Und während die Bürger sich darüber noch den Schlaf aus den Augen reiben „sind sie schon weiter“ – bloß: „wer weiß, wohin“. Die Unverbindlichkeit und Harmlosigkeit des Textes mit seinen einfachen Naturbeschreibungen ermöglichten dem Lied ein großes Publikum – machten es jedoch auch vielseitig verwendbar: Weit über das jugendbewegte Milieu hinaus ließ sich damit unter „Fahnen“ unterschiedlichster Couleur losziehen, segeln oder marschieren.

III. Alfred Zschiesches Lied stieß in kürzester Zeit auf große Resonanz. Zwei Jahre nach der Erstveröffentlichung fand es etwa mit der Angabe „aus mündlicher Überlieferung“ Eingang in Gustav Schultens Liederbuch „Der Ring“ (Potsdam 1935). Zugleich erschien „Wenn die bunten Fahnen wehen“ auch in der zweiten Auflage des Liederbuchs „St. Georg. Lieder deutscher Jugend“, der wichtigsten Liedsammlung der bündischen Jugend. Wie schon das Nerother Liederbuch kam diese im Verlag von Günther Wolff heraus (Plauen 1935). Ebenfalls ab 1935 wurde das Lied auch von den Funktionären der „Hitler-Jugend“ adaptiert und in Liedblättern und Liederbüchern der HJ verbreitet. Dort ist „Wenn die bunten Fahnen wehen“ allerdings in einer verkürzten Fassung publiziert worden: die Strophe über die „wilden Wandervögel“ (Str. 3), die den Bezug des Liedes zur bündischen Jugend herstellt, wurde nun eliminiert (Edition B). Denn angesichts des Verbots und der Bekämpfung der bündischen Jugendorganisationen durch die Nazis war eine Strophe auf „wilde Wandervögel“ das Gegenteil dessen, was für die politische „Gleichschaltung“ im Rahmen der „Hitler-Jugend“ erwünscht war. In dieser Version wurde „Wenn die bunten Fahnen wehen“ ab 1936 auch in Schulliederbücher übernommen. Die verkürzte Liedfassung prägte insgesamt die weitgreifende Rezeption im NS-Staat. Der damalige Erfolg von „Wenn die bunten Fahnen wehen“ ist nicht nur vor dem Hintergrund der jugendbewegten Wanderlust und Fahrtenromantik zu sehen, sondern gerade auch im Kontext des demonstrativen Symbolwertes, mit dem in jenen Jahren „Fahnen“ und „Banner“ belegt worden sind. Das galt für die Jugendbewegung ebenso wie für NS-Kreise, so dass „der Fahne“ in damaligen Liederbüchern sogar eigene Kapitel gewidmet waren. Das Eingangsmotiv von Zschiesches Lied passte glänzend zu dieser Mentalität. So schrieb 1934 auch Georg Thurmair mit „Seht die bunten Fahnen fliegen“ ein Bekenntnislied für die katholische Jugend, dessen Textanfang eine augenfällige Parallele zu Zschiesches Incipit bildet. Gleichzeitig hieß es in „Kameraden, wir marschieren„, einem weiteren Fahrtenlied der bündischen Jugendbewegung (ebenfalls 1932 geschrieben), im Refrain der ersten Strophe: „Laßt die bunten Fahnen wehn!“. Dieses Lied übernahmen die Nazis ebenfalls. Und 1938 lehnte sich auch der Parteidichter Herybert Menzel mit seinem NS-Gesang „Wenn wir unter Fahnen stehen“ an Zschiesches erfolgreiches Liedmotiv an und verwendete dieses zugleich als Buchtitel: „Wenn wir unter Fahnen stehen. Lieder der Bewegung“ (Wolfenbüttel 1938).

IV. Der weitreichende Erfolg des Liedes „Wenn die bunten Fahnen wehen“ im NS-Staat steht in drastischer Diskrepanz zur damaligen Rolle seines Autors und zum Schicksal der ursprünglichen Liedprotagonisten. Alfred Zschiesche war zwar 1933 Mitglied der NSDAP geworden (Prieberg 2004), ist aber durch keinerlei erkennbares NS-Engagement in Erscheinung getreten. Vielmehr war er unmittelbar von der Verfolgung des Nerother Wandervogels (der wie alle Jugendbünde verboten worden war) betroffen (Bembenek/Ulrich 1990). Protagonisten der Nerother waren nunmehr im Exil oder in Haft. Robert Oelbermann, der Gründer des Nerother Wandervogel, wurde 1936 verhaftet und starb 1941 im KZ Dachau. Oelbermann war Zschiesches „Guru“, dem er auch ein Gedicht mit gleichem Titel widmete. Auch sein Verleger Günther Wolff hatte unter den Repressalien der Nazis zu leiden. Dennoch brachte er 1936 noch Zschiesches „Klampfenlieder“ als Liederbuch unter dem Titel „Wenn die bunten Fahnen wehen“ heraus. Kurz darauf geriet Wolff jedoch ins Visier der NS-Aktionen gegen die illegale bündische Jugend. Dabei wurde das „Klampfenlieder“-Buch zusammen mit anderen Verlagspublikationen beschlagnahmt und vernichtet. Dem Verleger Wolff ist die Lizenz entzogen und der Prozess gemacht worden. In der Anklageschrift gegen ihn war auch Zschiesches Liederbuch „Wenn die bunten Fahnen wehen“ aufgeführt (Hess 1993). Auch Günther Wolff musste daraufhin längere Zeit in NS-Haft verbringen. Für die verfolgten Vertreter der bündischen Jugendbewegung waren ihre Lieder noch hinter Gittern ein Medium der Selbstvergewisserung, wobei auch das Lied „Wenn die bunten Fahnen wehen“ eine Rolle spielte: in einem handschriftlichen Liederbuch aus dem KZ Sachsenhausen – wo der Nerother Robert Oelbermann ab 1937 inhaftiert gewesen war – findet sich noch im Jahr 1942 das Lied „Wenn die bunten Fahnen wehen“ – und zwar (anders als draußen im „Dritten Reich“) mit allen vier Strophen.

V. Nach der Verhaftung und Verurteilung des Verlegers Günther Wolff eignete sich der Münchner „Zentralverlag der NSDAP“, Franz Eher Nachf., die Rechte zu „Wenn die bunten Fahnen wehen“ an. Die näheren Umstände dieses Verlagswechsels sind nicht bekannt. Möglicherweise spielte der erfolgreiche NS-Liedermacher Hans Baumann dabei eine Mittlerrolle – jedenfalls erschien Zschiesches Lied nach Beginn des Zweiten Weltkriegs im November 1939 in Baumanns „Liederbuch der deutschen Soldaten“ erstmals mit dem Vermerk, das Lied sei „Eigentum“ des NSDAP-Verlages Franz Eher (München). In der Folge begleitete diese urheberrechtliche Angabe „Wenn die bunten Fahnen wehen“ auch in allen anderen Soldaten-, Schul- und HJ-Liederbüchern der Kriegsjahre. Aus der Zeit des Zweiten Weltkriegs stammt auch eine Umdichtung als „Granatwerferlied“ (Edition C). Die starke Verwendung des Liedes im soldatischen Milieu des „Dritten Reiches“ gab ihm eine militärische Prägung, die weit über die Kapitulation hinaus anhielt.

VI. Auch nach dem Kriegsende war „Wenn die bunten Fahnen wehen“ in Liederbüchern sehr häufig vertreten, insbesondere im Bereich der Pfadfinder und der kirchlichen Jugendgruppen. Aus diesem Kontext erschien damals in der Schweiz eine weitere Umdichtung, die den Text im Sinne eines katholischen Bergsteigerliedes fasste (Edition D). Alf Zschiesche veröffentlichte das Lied erneut in seinen Fahrtenliederbüchern „Querfeldein“ (1955) und „Das Klampfenlied“ (1958), die im Mainzer Schott-Verlag erschienen. Dieser vertrat seit 1950 auch die Urheberrechte an „Wenn die bunten Fahnen wehen“. Dessen Erfolg machte sich jedoch auch die Schlagerindustrie zunutze und adaptierte die Refrainmelodie für den Filmschlager „Da sprach der alte Häuptling der Indianer“ (Gus Backus erhielt dafür 1961 den „Goldenen Löwen“ von Radio Luxemburg). Auf einen Plagiatsprozess wurde damals jedoch verzichtet, da Zschiesches Refrain seinerseits Ähnlichkeiten mit dem „Jägerchor“ aus Carl Maria von Webers „Freischütz“ aufweist (Hanser-Strecker 1968). Ab 1965 war „Wenn die bunten Fahnen wehen“ auch in der auflagenstarken „Mundorgel“ vertreten, was weiterhin für eine flächendeckende Präsenz sorgte. In dieser Zeit erlangte das Lied auch auf Tonträgern zunehmende Verbreitung. Anfangs erschien es gelegentlich auf Schallplatten einzelner Pfadfinder-Gruppen, später dominierten jedoch Aufnahmen von Heino, den Montanara- und ähnlichen Chören. In den 1970er Jahren zählte „Wenn die bunten Fahnen wehen“ zu den fünf bekanntesten deutschen Popularliedern (Klusen 1975). Doch im Rahmen der deutschen Folkmusikbewegung fand das Lied damals keine Resonanz. Seine Etablierung im Milieu der „volkstümlichen“ Musik, seine NS-Vergangenheit und auch seine militärmusikalischen Kontinuitäten führten dazu, dass das Lied im Umfeld der neuen sozialen Bewegungen eher als Vorlage für Parodien genutzt wurde, zumal im antimilitaristischen Sinne: „Wenn die schlanken Pershings fliegen“ hieß Anfang der 1980er Jahre etwa ein Song der „3 Tornados“ im Kontext des politischen Widerstands gegen den Nato-Doppelbeschluss (LP „Wir leben. Lieder gegen den Untergang“, 1982). Eine jüngere Parodie verlagert das Schlachtfeld auf den Fußballplatz (Edition E). Mittlerweile haben sich die Worte „Wenn die bunten Fahnen wehen“ längst auch zu einer Wendung allgemeiner Art entwickelt, welche formelhaft in belletristischer und in Erinnerungs-Literatur in den letzten Jahrzehnten immer wieder herbeizitiert wird – sei es mit Bezug zum Lied oder ohne. Aus diesem Reservoir speisen sich auch titelgebende Benennungen wie Blalla W. Hallmanns Gemälde „Wenn die bunten Fahnen wehen – Der Moonlight-Arier-Express: Festung Europa“ (1991).

ECKHARD JOHN
(Februar 2013)

Literatur

  • Stefan Krolle: Musisch-kulturelle Etappen der deutschen Jugendbewegung von 1919–1964. Eine Regionalstudie. Münster 2004 (Geschichte der Jugend 26), S. 63f.
  • Kurt Heerklotz: Ein Lied wurde 50 Jahre alt (Januar 1983); unpubl. Ms., darin: Bericht von Alf Zschiesche über die Entstehungsgeschichte seines Liedes (DVA: F 4571); spätere Fassung („Ein Lied wird 65. Wenn die bunten Fahnen wehen“) in: GDA-Nachrichten. Zeitschrift der Gemeinschaft Deutsche Altenhilfe Nr. 81, März 1997, S. 12–14.

Weiterführende Literatur

  • Wilhelm Schepping: Zur Bedeutung des vogtländischen Günther-Wolff-Verlages für Lied und Singen der Bündischen Jugend in den 30er und 40er Jahren des 20. Jahrhunderts. In: Das 20. Jahrhundert im Spiegel seiner Lieder. Bamberg 2004, S. 259–285.
  • Fred K. Prieberg: Handbuch Deutsche Musiker 1933–1945. Selbstverlag (CD-ROM-Publikation) 2004, S. 8011–8013 (Alfred Zschiesche).
  • Alf Zschiesche 1908–1992. Zeugnisse seines Schaffens. Zusammengestellt vom Weinbacher Wandervogel. (Manuskriptdruck im Selbstverlag) Klein-Weinbach o.J. [1994], S. 13 (Gedicht „Guru“).
  • Wolfgang Hess: Der Günther-Wolff-Verlag in Plauen und die bündische Jugend im III. Reich. Plauen 1993, S. 56–61 (Anklageschrift 1938).
  • Lothar Bembenek, Axel Ulrich: Widerstand und Verfolgung in Wiesbaden 1933–1945. Eine Dokumentation. Gießen 1990, S. 258–261.
  • Stefan Krolle: „Bündische Umtriebe“. Die Geschichte des Nerother Wandervogels vor und unter dem NS-Staat. Münster 1985 (Geschichte der Jugend 10).
  • Ernst Klusen: Zur Situation des Singens in der Bundesrepublik Deutschland. II. Die Lieder. Köln 1975; darin S. 23f., S. 43–47 und S. 147–154.
  • Carl Peter Hanser-Strecker: Das Plagiat in der Musik. Diss. Frankfurt a. M. 1968, S. 151f. und S. 184f.; ähnlich ders.: Plagiate. In: Schlager in Deutschland. Hrsg. Siegmund Helms. Wiesbaden 1972, S. 76f.
  • Das Lagerlieder-Buch. Lieder gesungen, gesammelt und geschrieben im Konzentrationslager Sachsenhausen bei Berlin 1942. Faksimile-Reprint [1980] 4. Auflage Dortmund 1983, S. 181.
  • Alfred Zschiesche, Otto Leis (Hrsg.): Wenn die bunten Fahnen wehen. Klampfenlieder. Plauen i. V.: Verlag Günther Wolff 1936.

Quellenübersicht

  • Ungedruckte Quellen: kaum Aufzeichnungen aus mündlicher Überlieferung
  • Gedruckte Quellen: sehr häufig in Gebrauchsliederbüchern
  • Bild-Quellen: —
  • Tondokumente: viele Tonträger

Berücksichtigt werden hier primär Quellen, die im Deutschen Volksliedarchiv (DVA) erschlossen sind. Hinsichtlich der Tonträger wurden auch die Bestände des Deutschen Musikarchivs (Leipzig) miteinbezogen.

© Deutsches Volksliedarchiv

weitere Wander- und Reiselieder