Will ich in mein Gärtlein gehn,
will mein Zwiebeln gießen,
steht ein bucklig Männlein da,
fängt gleich an zu niesen.
Will ich in mein Küchel gehn,
will mein Süpplein kochen,
steht ein bucklig Männlein da,
hat mein Töpflein brochen.
Kinderlieder – Album 1
Wiebke Hoogklimmer – Altstimme
Will ich in mein Stüblein gehn,
will mein Müslein essen,
steht ein bucklig Männlein da,
hat’s schon halber gessen.
Will ich auf mein’n Boden gehn,
will mein Hölzlein holen,
steht ein bucklig Männlein da,
hat mir’s halber g’stohlen.
Will ich in mein’n Keller gehn,
will mein Weinlein zapfen,
steht ein bucklig Männlein da,
tut mir’n Krug wegschnappen.
Setz ich mich ans Rädlein hin,
will mein Fädlein drehen,
steht ein bucklig Männlein da,
läßt das Rad nicht gehen.
Geh ich in mein Kämmerlein,
will mein Bettlein machen,
steht ein bucklig Männlein da,
fängt gleich an zu lachen.
Wenn ich an mein Bänklein knie,
will ein bißlein beten,
steht ein bucklig Männlein da,
fängt gleich an zu reden:
„Liebes Kindlein, ach, ich bitt,
Bet für’s bucklig Männlein mit!“
(In den verschiedenen Liederbüchern stehen unterschiedliche Textfassungen).
Text: erstmals 1808 in „Des Knaben Wunderhorn“ erschienen
Melodie: die heute bekannte Melodie wurde nachträglich 1810 von Johan Nikolaus Böhl (1770-1836) zugewiesen (nach dem 1776 in Wien im „Katholischen Gesangbuch“ erschienenen Fronleichnamslied „Kommt zum großen Abendmahl“)
Ein ausführlicher Text zur Entstehungsgeschichte vom Forschungsprojekt des Deutschen Volksliedarchivs:
Tobias Widmaier: Will ich in mein Gärtlein gehn (2008). In: Populäre und traditionelle Lieder. Historisch-kritisches Liederlexikon. http://www.liederlexikon.de/lieder/will_ich_in_mein_gaertlein_gehn/
Das Anfang des 19. Jahrhunderts in der romantischen Volksliedsammlung „Des Knaben Wunderhorn“ erstmals belegte Lied vom „bucklichen Männlein“ hat als Kinderlied weite Verbreitung gefunden. Genau besehen thematisiert es nicht – wie meist angenommen – Konflikte mit einem koboldhaften Plagegeist, sondern die Zudringlichkeiten eines unwillkommenen Freiers. Deutlich geht dies aus Varianten des Liedes hervor, die im Lauf des 19. Jahrhunderts in unterschiedlichen Regionen aufgezeichnet wurden.
I. Zu den bekanntesten Liedern aus „Des Knaben Wunderhorn“ gehört „Das buckliche Männlein“, das im Anhang „Kinderlieder“ des 3. Bandes (Heidelberg 1808) erschien (Edition A). Auch heute gilt es allgemein als Kinderlied, obgleich es sich bei näherer Betrachtung um ein solches eigentlich nicht handelt: Sprecherfigur nämlich ist eine junge Frau, die mitteilt, bei ihren häuslichen Tätigkeiten (Kochen, Spinnen, Weinzapfen usw.) ständig von einem „bucklicht Männlein“ behelligt zu werden. Der „Wunderhorn“-Herausgeber Clemens Brentano hat das Lied aus mündlicher Überlieferung aufgezeichnet und sein fragmentarisches Notat stark bearbeitet. Wesentlichster Eingriff des Dichters war eine Ergänzung der Strophen 6, 8 und 9 (Edition A). Mit dem neuen Schluss gab Brentano dem Lied eine markante Wendung: Der Störenfried unterbricht die junge Frau – die er als „liebes Kindlein“ anspricht – beim Beten und bittet sie, ihn in ihr Gebet einzuschließen. Die Melodie, nach der Brentano „Das buckliche Männlein“ hat singen hören, ist nicht überliefert. Die heute bekannte Melodie wurde dem Lied erst nachträglich von Johan Nikolaus Böhl zugewiesen (Edition B). Für seine Sammlung „Vier und zwanzig Alte deutsche Lieder aus dem Wunderhorn“ (Heidelberg 1810), die aus dem „Bedürfnis“ entstand, „gewissen Liedern schickliche Weisen anzuschmiegen“ (Vorrede), übernahm Böhl im vorliegenden Fall die Melodie des Fronleichnamsliedes „Kommt zum großen Abendmahl“ aus einem um 1776 in Wien erschienenen „Katholischen Gesangbuch“.
II. Unabhängig von den bearbeitenden Eingriffen Brentanos kann „Das buckliche Männlein“ aus dem „Wunderhorn“ als Variante eines vermutlich schon älteren Liedtyps gesehen werden, der im frühen 19. Jahrhundert noch in einer weiteren Fassung nachweisbar ist: Unter den von Franz Ziska und Julius Max Schottky herausgegebenen „Oesterreichischen Volksliedern mit ihren Singweisen“ (Pesth 1819) – eine der ersten Publikationen von Dialektliedern – findet sich unter dem Titel „Das böse Männlein“ ein Lied, das in formaler und inhaltlicher Hinsicht starke Ähnlichkeiten mit dem „Wunderhorn“-Beleg aufweist (Edition C). Hier berichtet eine Frau ihrem Gatten, ein „buñkad Mañderl“ – das österreichische „bunkad“ meint klein und dick, plump – habe alle ihre Verrichtungen torpediert (Einkauf eines Topfes, Gebet in der Kirche, Blumenpflücken im Garten, Zapfen im Keller). Als sie das „Mañderl“ schließlich beim Richter habe verklagen wollen, habe es sich verflüchtigt („Af und dåvoñ is ’s g’flåg’n“). Ziska/Schottky präsentierten „Das böse Männlein“ mit einer der mündlichen Singpraxis abgelauschten Melodie. Vom Text her mit ihrem Beleg eng verwandt ist das Lied einer Köchin, die auf dem Weg zum Töpfer, um ein zerbrochenes „Haferl“ zu ersetzen, vom „bucklig“ Männlein „über’n Haufen“ geschmissen wird (Alte und neue Kinderlieder, Fabeln, Sprüche und Räthsel, hrsg. von Georg Scherer. Leipzig 1849). Die Szene hat Moritz von Schwind eindringlich illustriert (Abb. 1).
III. Aus regionalen Liedsammlungen des 19. Jahrhunderts sind weitere Beispiele des behandelten Liedtyps überliefert, in denen das „bucklige Männlein“ deutlich als zudringlicher Freier oder lästiger Ehemann erkennbar ist. So teilt Ernst Meier in „Schwäbische Volkslieder“ (Berlin 1855) eine Fassung des Liedes „aus Herrenalb“ mit, in der eine junge Frau ihrer Mutter ein umfassendes Sündenregister des „bucklig Mändle“ vorträgt, um anschließend kategorisch zu erklären: „Den kann i nit begehra“ (Edition F). Das Begehren konnte sich aber auch, wie ein Beleg aus dem Elsass zeigt, gerade umgekehrt auf das „in myn Kämmerle“ eindringende „buckli’s Männel“ richten (Edition D).
IV. Angesichts dieser Überlieferungslage fällt es schwer, in dem „bucklicht Männlein“ des „Wunderhorn“ ein imaginiertes koboldhaftes Wesen zu sehen. Es nahm diese Gestalt erst durch die Rezeption von „Will ich in mein Gärtlein gehn“ als Kinderlied an, die Brentano freilich maßgeblich anstieß. Dabei dürfte kindliche Phantasie der Figur weit eher Schrecken erregende als spaßhafte Züge zugeschrieben haben. Schwarze Pädagogik machte sich dies zunutze: Der Zürcher Lehrer Johannes Staub (1813–1880) ließ in seiner Umdichtung von „Das bucklicht Männlein“ gleich eine Schar von „Buckelleuten“ auftreten, die einen unartigen Knaben nachts „im Traum“ verfolgen. Die mahnenden Schlusszeilen lauten hier: „Thu nur recht, o Büblein du, / So lassen dich auch die Buckelleut‘ in Ruh'“ (Edition E). Aus dem Mund eines Schülers wurde „Das buckliche Männlein“ 1903 in der Pfalz aber auch in einer Fassung aufgezeichnet, die zeigt, dass man Strategien entwickelte, um mit dem Unruhestifter zurecht zu kommen: Am Schluß jeder Strophe wird dieser hier aufgefordert zu tun, was er eigentlich zu stören suchte: „Bucklig Männche, kannste lache, / Kannst mér á mei Bettche mache!“ (Edition G)
V. Im 20. Jahrhundert hat die „Wunderhorn“-Fassung von „Das buckliche Männlein“ eine nachhaltige Wirkungsgeschichte. Zum einen forderte der Text immer wieder zu Interpretationen heraus. So deutet eine psychoanalytisch orientierte Literaturwissenschaft das „buckliche Männlein“ als Verkörperung „verleugneter“ kindlicher „Ich-Anteile“, auf die man die Schuld an persönlichen Missgeschicken und Fehlleistungen projiziere (Frithjof Haider 2003). Den Störenfried ins Gebet einzuschließen meint danach, sich als ambivalentes Wesen anzuerkennen. Der Volkskundler Lutz Röhrich sah das „bucklicht Männlein“ als „kindertümliche Personifizierung der Tücke des Objekts“ (Röhrich 1973). Auf der anderen Seite stehen künstlerische Verarbeitungen. Neuvertonungen von „Das buckliche Männlein“ haben u. a. Arnold Mendelssohn (1905), Julius Weismann („Wunderhornlieder“ op. 29/5, 1910), Alexander von Zemlinsky (1934; vgl. Antony Beaumont 2000) sowie Hans-Jürgen von Bose („Fünf Kinderreime aus ‚Des Knaben Wunderhorn'“, 1976) vorgelegt. Auszumachen ist auch eine breite literarische Rezeption, z. B. in Thomas Manns Roman „Buddenbrooks“ (1901, Teil 8/3), bei Ernst Wiechert („Das Männlein“, Erzählung 1933) oder Gabriele Wohmann („Bucklicht Männlein“, Erzählungen 1984). Eine zentrale Rolle nimmt die Figur des „bucklicht Männleins“ in Walter Benjamins autobiographischem Werk „Berliner Kindheit um neunzehnhundert“ (1932/1938) ein, in dessen letzter Miniatur sie als Allegorie der entstellten Erinnerung dient.
VI. Im 20. Jahrhundert hat das „Wunderhorn“-Lied „Will ich in mein Gärtlein gehn“ primär in Kinderliederbüchern Aufnahme gefunden. Auf Illustrationen sucht das „bucklicht Männlein“ darin nun durchgehend nicht mehr eine junge Frau (Abb. 2), sondern ein kleines Mädchen heim (Abb. 3, Abb. 4). Varianten des Liedtyps lassen sich noch sporadisch belegen, u. a. im Repertoire der „Pennsylvania Germans“ in den USA (Edition H). In den frühen 1970er Jahren schuf Rolf Schwendter eine Parodie des Liedes, mit der er sich gegen Gesinnungsschnüffelei an Universitäten wandte (Edition I).
TOBIAS WIDMAIER
Quellenrecherche: JOHANNA ZIEMANN
(September 2008)
Literatur
- Frithjof Haider: Verkörperungen des Selbst. Das bucklige Männlein als Übergangsphänomen bei Clemens Brentano, Thomas Mann, Walter Benjamin. Frankfurt a. M. 2003 (Europäische Hochschulschriften, Reihe 1: Deutsche Sprache und Literatur, Bd. 1869), besonders S. 77–83.
- Birgit Cornils-Oppelland: Das Kinderlied vom „Bucklichten Männlein“. Schriftliche Hausarbeit für das Lehramt an öffentlichen Schulen. Bremen 1985 (DVA: V 1/30017).
- Ralph Wood: „Das bucklige Männlein“. In: American-German Review 8 (1941/42), Nr. 6 (August 1942), S. 27–30.
Editionen und Referenzwerke
- Rölleke/Wunderhorn Bd. 8, 1977, S. 290f.; Bd. 9-3, 1978, S. 509–512.
- Erk/Böhme Bd. 1, 1893, S. 20f. (Nr. 4a–4c).
Weiterführende Literatur
- Henriette Herwig: Zeitspuren in erinnerten Kindheitsorten: Walter Benjamins Berliner Kindheit um neunzehnhundert. In: Benjamin und das Exil. Hrsg. von Bernd Witte. Würzburg 2006, S. 44–73.
- Antony Beaumont: Zemlinsky. Ithaca, NY 2000 (in Kap. „The Humpbacked Mannikin“, S. 383–398 u. 505f. Edition und Analyse von Zemlinskys Lied „Das bucklichte Männlein“).
- Marianne Schuller: Ent-Zweit – Zur Arbeit des „bucklicht Männlein“ in Walter Benjamins Berliner Kindheit um neunzehnhundert. In: „In die Höhe fallen“. Grenzgänge zwischen Literatur und Philosophie. Hrsg. von Anja Lemke u. Martin Schierbaum. Würzburg 2000, S. 141–149.
- Heinz Politzer: Sozusagen ein Doppelgänger. In: Frankfurter Anthologie, Bd. 4. Gedichte und Interpretationen. Hrsg. von Marcel Reich-Ranicki. 3. Aufl. Frankfurt a. M. 1991 S. 49–51.
- Irving Wohlfahrt: Märchen für Dialektiker. Walter Benjamin und sein „bucklicht Männlein“. In: Walter Benjamin und die Kinderliteratur. Aspekte der Kinderkultur in den zwanziger Jahren. Hrsg. von Klaus Doderer. Weinheim und München 1988, S. 121–176.
- Lutz Röhrich: Sagenballade. In: Handbuch des Volksliedes. Hrsg. von Rolf Wilhelm Brednich u. a., Bd. 1. München 1973, S. 101–156 (Zitat S. 126).
Quellenübersicht
- Ungedruckte Quellen: etliche Aufzeichnungen aus mündlicher Überlieferung
- Gedruckte Quellen: sehr häufig in Gebrauchsliederbüchern, etliche sonstige Rezeptionsbelege
- Bild-Quellen: zahlreiche Illustrationen in Kinderliederbüchern
- Tondokumente: selten auf Tonträger
Berücksichtigt werden hier primär Quellen, die im Deutschen Volksliedarchiv (DVA) erschlossen sind. Darüber hinaus wurden auch die Bestände des Gesangbucharchivs Mainz sowie (hinsichtlich der Tonträger) des Deutschen Musikarchivs Berlin miteinbezogen.
© Deutsches Volksliedarchiv
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